Erbfall des Monats - Juni 2020

Widersprüchliches Verhalten und seine Konsequenzen

Erbstreit beginnt oft wegen Mißtrauen in andere Beteiligte des Erbfalls. So fing es auch im aktuellen Fall an. Eine Testamentsvollstreckerin meinte, einer der Erben könnte seine Vollmacht mißbraucht haben. Die Vollmacht hatte ihm seine gebrechliche Tante (die Erblasserin) erteilt, weil er sich von allen Verwandten am besten auskannte mit der  Verwaltung von Immobilien und Bankguthaben. Der Neffe hat mit der Vollmacht über Jahre hinweg viele Überweisungen getätigt, Handwerker bezahlt und im Fall von Mietstreit auch Anwälte, und auf Anweisung seiner Tante hat er Bargeld abgehoben und ihr nach Hause gebracht – alles ohne Quittung oder schriftliche Entlastung durch seine Tante. Man hat sich in der Familie eben vertraut.
Die Testamentsvollstreckerin wurde vom Nachlaßgericht ernannt, weil das im Testament so vorgesehen war. Sie kannte die Familie vorher nicht. Nachdem sie fünf Jahre lang manches getan und einiges unterlassen hatte, verklagte der Neffe sie. Er wollte endlich vollständige Auskunft darüber haben, was die Testamentsvollstreckerin bisher getan hatte und wie der aktuelle Stand der Nachlaßkonten ist. Außerdem wollte er endlich vom Geld aus der Erbschaft etwas bekommen nach immerhin fünf Jahren Dauer der unvollendeten Abwicklung des Nachlasses.
Die Testamentsvollstreckerin will jetzt umgekehrt zur Aufklärung derjenigen Verfügungen über Bankkonten, die zu Lebzeiten der Erblasserin erfolgt sind, umfassende Auskunft vom Neffen haben. Sie erhebt Widerlege gegen den ehemals bevollmächtigten Neffen und beantragt Auskunft über sämtliche Verfügungen auf allen Konten der Erblasserin – ohne zeitliche Grenze und ohne Einschränkung auf die Vorgänge, bei denen der Neffe die Überweisungen bzw. Barauszahlungen veranlaßt hat. Außerdem verlangte sie, daß er die Belege durchnumeriert, was bei einigen Jahren Kontoführung einschließlich der Verwaltung eines Mietshauses der Tante sehr aufwendig ist und bisher in keinem Gesetz und in keinem veröffentlichten Gerichtsurteil jemals so von einem Bevollmächtigten verlangt wurde. Leider verweigerte die Testamentsvollstreckung dem Neffen ihre Mitwirkung, als er wollte, daß sie als Verfügungsberechtigte über die Nachlaßkonten bei den Banken Kopien der Überweisungsträger und Barzahlungsbelege anfordert, mit denen er wenigstens sehen könnte, was er in Vollmacht für seine Tante unterschrieben hat und was die Tante selber unterschrieben hat. Für umfangreiche Auskünfte über lang zurückliegende Angelegenheiten braucht man schließlich eine Erinnerungshilfe.
Das Landgericht gab beiden Prozeßparteien Recht und verurteilte beide dazu, Auskunft zu erteilen, was sie denn im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Erbtante bzw. deren Nachlaß getan haben. Die Testamentsvollstreckerin weigerte sich jetzt aber sogar nach ihrer Verurteilung immer noch, Auskunft zu erteilen. Das ist ungewöhnlich, unprofessionell und nicht sehr intelligent. Der Rechtsanwalt des Neffen hat dafür zwar kein Verständnis, jedoch weiß er, wie man Auskünfte in der Zwangsvollstreckung „herbeizaubert“. Gegen die Testamentsvollstreckerin wird wohl schon bald ein Zwangsgeld verhängt, das sie an die Gerichtskasse zahlen muß. Und falls sie sich dann noch immer nicht zur Erteilung der Auskunft durchringen kann, wird sie in Zwanghaft genommen werden.
Der Neffe seinerseits ging in Berufung gegen seine Verurteilung, derart umfangreiche Auskünfte zu erteilen. Es ist schlicht unmöglich, jede Überweisung und jede Barabhebung zu erklären, Belege darüber vorzulegen und dann auch noch die Unterlagen zu numerieren, anstatt sie einfach so geordnet zu übergeben. Der Neffe hat ja nicht einmal mehr die Kontoauszüge seiner Tante. Außerdem sieht er zu Recht nicht ein, daß er der Testamentsvollstreckerin Auskunft erteilt über diejenigen Überweisungen, die die Tante selber unterschrieben hat.
Das Verfahren am Berufungsgericht läuft noch. Es ist aber schon jetzt abzusehen, daß der Neffe mindestens teilweise gewinnen wird. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, von denen an dieser Stelle die beiden erwähnt seien, die besonders ins Auge fallen: Zunächst gibt es die „moderne Plage“ Datenschutz. Die Banken und Sparkassen weigern sich in aller Regel unter Berufung auf Datenschutz, Auskünfte zu geben über Vorgänge, die länger als zehn Jahre zurückliegen. Wo das mit der ominösen 10-Jahres-Frist geregelt sein soll, entzieht sich zwar dem, was ein Fachanwalt und ehemaliger übertariflicher Bankangestellter (=der Autor dieses Erbfalls des Monats) nachvollziehen kann. Nachdem das aber in der Praxis so ist, ist es praktisch unmöglich, die Auskunft zu erteilen. Und was unmöglich ist, ist nicht geschuldet. Der Neffe braucht also nichts über das zu erklären, was länger als zehn Jahre zurückliegt, weil er keine Aufzeichnungen darüber hat.
Widersprüchliches Verhalten der Testamentsvollstreckerin ist in diesem Fall ebenfalls ein Punkt, der besonders ins Auge fällt: Sie ist einerseits rechtskräftig verurteilt worden, Auskunft über ihre mittlerweile mehr als fünf Jahre dauernde Tätigkeit als Testamentsvollstreckerin zu erteilen, tut das aber nicht einmal, nachdem die Zwangsvollstreckung angedroht wurde. Auf der anderen Seite verlangt sie vom Neffen der Erblasserin, daß der akribische Aufstellungen über seine Tätigkeit als Bevollmächtigter zusammenstellt und diese dann auch noch numeriert. Der gesunde Menschenverstand sagt den meisten Menschen an dieser Stelle: Wer selber nichts tun will, sollte von anderen nicht mehr verlangen als von sich selber. Und Juristen sehen solches widersprüchliche Verhalten von Personen, die selber in vergleichbaren Angelegenheiten nicht rechtstreu sind, immer wieder als Grund dafür an, daß ein Anspruch ausnahmsweise nicht besteht. Es bleibt spannend, womit das Berufungsgericht das dann begründen wird: Denkbar sind unter anderem ein Verstoß der Testamentsvollstreckerin gegen Treu und Glauben (Generalklausel des BGB § 242), Sittenwidrigkeit des Verhaltens oder Verwirkung?

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