Jedes Jahr werden Hunderttausende Erbschaften abgewickelt. Fast immer gehen die Hinterbliebenen davon aus, daß sie alle in Frage kommenden Erben kennen. Schließlich ist man ja Familie – oder der Verstorbene hatte keine nahen Verwandten, weshalb dann entfernte Verwandte, Freunde oder wohltätige Einrichtungen Erben werden. Wenn ein Testament vorliegt, wird der Nachlaß nach Vorgaben des Testators abgewickelt und zwischen Miterben die Nachlaßteilung vorgenommen. Bei Erbfällen ohne Regelung erfolgt die Nachlaßauseinandersetzung nach den Regeln über die gesetzliche Erbfolge im 5. Buchs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Meist ist schon nach einigen Monaten alles erledigt und jeder Miterbe hat seinen Anteil am Erbe für sich.
Manchmal gibt es dann jedoch eine Überraschung. Was, wenn die Erbschaft schon abgewickelt ist, und dann taucht ein nichteheliches Kind auf? Vielleicht kannte der Erblasser sein Kind gar nicht oder er sprach jedenfalls nicht darüber. Früher hatten die unehelichen Kinder nicht einmal ein richtiges Erbrecht am Vermögen des Vaters. Und wenn der „neu anfangen“ wollte, sagte er seiner neuen Flamme schon auch mal absichtlich nichts von den „Altlasten“, die seine Chancen auf eine neue Beziehung vielleicht reduziert hätten. Unverhofft kommt oft. Und wenn das Kind erst nach Jahren vom Tod des Vaters erfährt, ist der Nachlaß in der Regel schon abgewickelt. Was dann?
Zunächst unterscheiden wir nach zwei Fallgruppen:
1.) Gesetzliche Erbfolge: Wenn es mehrere Kinder des Erblassers gibt, tritt das aufgetauchte, bisher unbekannte Kind als Miterbe hinzu, die Erbquote der anderen Kinder verringert sich entsprechend. Anderenfalls sind entferntere Verwandte und ggf. Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner Scheinerbe gewesen und werden jetzt ganz oder, im Fall des Ehegatten, teilweise vom Kind verdrängt. Aber die Erbschaft ist doch nun schon abgewickelt, es ist nichts mehr da, was ausdrücklich Nachlaß wäre. In diesem Fall muß rückabgewickelt werden, so gut das geht. Und in den meisten Fällen ist hier vieles möglich, weil entweder noch Unterlagen über den Nachlaß und die Abwicklung vorhanden sind oder anderenfalls besorgt werden können. Bei Immobilien reicht ein Blick ins Grundbuch, bei Bankverbindungen und Lebensversicherungen können Unterlagen reproduziert werden. Dann wird nachvollziehbar, was dem wirklichen Erben zusteht. Was bereits verbraucht ist, könnte aber tatsächlich weg sein, wenn kein Fall von Bereicherungsansprüchen des aufgetauchten Erben gegen den bisherigen Scheinerben besteht.
2.) Bei Testament und Erbvertrag stellt sich als erstes die Frage, ob die Regelungen auch dann gelten sollen, wenn nun ein unbekanntes Kind auftaucht. Wenn der Erblasser sich geirrt hat, wer alles als gesetzlicher Erbe in Frage kommt, kann eine letztwillige Verfügung anfechtbar sein; als letztwillige Verfügung gilt dann jede einzelne Regelung im Testament, nicht automatisch das ganze Dokument mit seinen sämtlichen Regelungen. Die Anfechtbarkeit des letzten Willens kann man aber auch ausschließen, damit das Testament „in Steil gemeißelt“ ist. Wenn der Erblasser das so klar geregelt hat, daß kein Richter Spielraum für eine Interpretation oder für Mutmaßungen dazu haben kann, was denn wohl im Fall der Kenntnis des unbekannten Kindes oder anderer Irrtümer gewollt gewesen wäre. Wenn der Anfechtungsausschluß verbindlich ist, kann das bislang unbekannte Kind aber immerhin noch den Pflichtteil verlangen; die Verjährung dieses Anspruchs beginnt erst, wenn das Kind Kenntnis hat vom Erbfall und von seiner Enterbung, so daß ihm die Testamentserben eventuell auch noch nach einigen Jahren den Pflichtteil erfüllen müssen.
Ein Ausschluß der Anfechtung ist allerdings ein zweischneidiges Schwert: Es kann ja auch durchaus Fälle geben, bei denen der zukünftige Erblasser schon denkt, daß ein Irrtum ausgerechnet über diese Person oder Eigenschaft relevant sein sollte. Nehmen wir als Beispiel Personen aus der Literatur und stellen uns dazu ein Testament vor, in dem Irrtümer vorkommen: Max Frischs Romanfigur Homo Faber wußte lange Jahre nichts von seiner Tochter. Wenn er seine ehemalige Geliebte in einem Testament zur Erbin eingesetzt hätte und das Testament nicht geändert hätte, als er sie aus den Augen verlor, dann wäre sie immer noch seine Erbin, obwohl sie ihm verschwieg, daß er Vater geworden war. Da ist es durchaus denkbar, daß er in Kenntnis der wahren Tatsachen lieber das Kind als die Ex-Geliebte als Erbin haben wollte. Das geht aber nur, wenn die Verfügung zu Gunsten der Ex-Geliebten angefochten werden kann wegen Irrtums. Das Kind kann dann gesetzlicher Erbe werden.
Die Details des Erbrechts haben hier wieder weitreichende Auswirkungen. Damit am Ende eine gute Regelung als letzter Wille zu Papier gebracht wird, lohnt sich eine Beratung durch einen Experten für Testamentsgestaltung.