Ein Witwer wollte, daß nach seinem Tod sowohl seine Lebensgefährtin als auch die erwachsenen Kinder mit seinem hinterlassenen Vermögen ordentlich versorgt werden. Er überlegte sich, wie er das regeln kann, und setzte ein Testament auf. Darin bekamen die Beteiligten ihre Erbquoten zugewiesen. Nachdem er gehört hatte, daß das Aufteilen eines Nachlassen schwierig ist und schnell zum Streit führt, wollte er es besser regeln als die meisten anderen es tun. Er suchte einen Testamentsvollstrecker, der nicht selbst Teil der Erbengemeinschaft ist.
Der Schwiegersohn ist Bankangestellter. Für den Erblasser war klar, daß der der Richtige für diese Aufgabe sei. Er wurde in der letztwilligen Verfügung zum Testamentsvollstrecker ernannt mit der Aufgabe, „den Nachlaß gerecht abzuwickeln“.
Nun mag es ja sein, daß viele Bankangestellte halbwegs solide Grundkenntnisse im Erbrecht haben und manche sogar ein Spezialisierungsseminar absolvieren. Neben der Berufstätigkeit her ein Testamentsvollstreckeramt auszuüben ist dann aber doch eine gewisse Herausforderung, zumal Fachliteratur zum Erbrecht ohne wirklich einschlägige Berufstätigkeit meist nicht vorhanden ist, und ohne das richtige Handbuch kann man bekanntlich nicht einmal mehr ein Auto reparieren. Wenn dann der Schwiegersohn des Erblassers eben doch irgendwie als Ehemann einer Miterbin und Schwager eines anderen Miterben in die Familie persönlich involviert ist, sind auch Konflikte zwischen den Beteiligten durchaus denkbar. Im Erbfall wird eben so manches Problem sichtbar, das bis dahin um des Familienfriedens Willen nicht thematisiert wurde oder bei dem der Erblasser bzw. die Erblasserin zeitlebens „den Deckel drauf gehalten“ hat.
Im Erbfall dieses Monats kommt noch dazu, daß das Wort „gerecht“ gut gemeint war. Allerdings ist hier gut gemeint sprichwörtlich das Gegenteil von gut gemacht: Juristen lernen im Studium neben den Gesetzen und ihrer Auslegung auch Rechtsphilosophie. Dieses Fach beschäftigt sich vor allem mit der Frage nach der Gerechtigkeit. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Ansichten, was gerecht ist. Die Bandbreite der Gerechtigkeitstheorien reicht von gleichmäßiger Verteilung (alle bekommen gleich viel) über Verteilung nach den Bedürfnissen des einzelnen bis hin zur leistungsabhängigen Verteilung oder gar einer Verteilung nach einer mathematischen Formel mit dem Ziel, die maximierte Summe der Einzelvorteile einer ganzen Gesellschaft zu berücksichtigen. Wenn im Testament steht, daß etwas gerecht verteilt werden soll, ist man also keinen Schritt weiter als wenn das nicht erwähnt wäre. Besser wäre es gewesen, der Erblasser hätte seine persönliche Vorstellung von Gerechtigkeit ins Testament geschrieben oder ganz auf diesen Hinweis verzichtet. So versteht nun jeder der Beteiligten etwas anderes darunter und meint, genau das sei doch eindeutig die Vorstellung des Erblassers von einer „gerechten Verteilung“ seines Nachlasses gewesen. Den Erblasser selber kann man nicht mehr fragen, sein Testament wird ja erst „richtig ausgelegt“, wenn er verstorben ist. Und nahestehende Personen fragen ist müßig, die sind schließlich die Erbengemeinschaft und der Testamentsvollstrecker, die unter demselben Wort „gerecht“ sehr unterschiedliche Dinge verstehen. Eine fachmännisch formulierte Regelung im letzten Willen hätte vielleicht für die Beratung etwas mehr gekostet, meistens wird damit aber ein Streit in der Verwandtschaft vermieden.