Immer wieder beschäftigen uns Erbfälle, bei denen jemand ins Ausland gezogen ist. Aktuell ist das ein Fall, bei dem eine deutsche Staatsangehörige nach England gezogen ist. Sie war bis zu ihrem Tod Eigentümerin einer Immobilie in Deutschland.
Kurz vor ihrem Tod wollte sie ihre Erbangelegenheiten ordnen und schrieb ein Testament mit der Schreibmaschine und unterschrieb es auch, und zwar zu Hause „im stillen Kämmerlein”. Dann sprach sie mit einer Freundin darüber, die Zweifel an den Formalien hatte: Sie wußte nämlich, daß in England das Testament nicht nur von der Erblasserin sondern auch von Zeugen unterschrieben werden muß, während in Deutschland ein maschinengeschriebenes Testament nur bei notarieller Beurkundung wirksam ist.
Die ältere Dame beherzigte den Rat ihrer Freundin und wollte es im zweiten Versuch besser machen – allerdings wieder ohne Rechtsanwalt oder Notar zu fragen. Sie diktierte einer Bekannten, was im Testament stehen soll, die Bekannte schrieb es von Hand auf, und dann unterschrieben die Erblasserin und zwei Zeugen an der Seite des Dokuments (nicht unten).
Inzwischen ist der Erbfall eingetreten, die ältere Dame verstorben. Und damit stellt sich die Frage, ob eines der beiden Dokumente als Testament wirksam sein kann. In diesem Fall steckt einiges an internationalen Rechtsfragen, nicht nur wegen des bevorstehenden Brexit. Großbritannien (genauer gesagt: das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, kurz „UK“) ist sowieso nicht der Europäischen Erbrechts-Verordnung beigetreten, so daß die alten Regeln noch immer gelten. Eine weitere Besonderheit ist, daß England und Schottland zwei recht unterschiedliche Rechtsordnungen haben, falls britisches Recht entscheidend sein sollte, kommt es also auch noch darauf an, ob englisches oder schottisches Recht gilt.
Die erste Frage, die der Jurist in solchen Fällen klärt, ist die formale Wirksamkeit des Testaments. Und hier hilft häufig das Haager Testamentsübereinkommen aus den 1960er Jahren. Darin ist sehr großzügig geregelt, wann ein letzter Wille wirksam ist. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch das UK haben es ratifiziert. Somit gilt nach Artikel 1 dieses völkerrechtlichen Übereinkommens in unserem Erbfall des Monats ein Testament als wirksam, wenn es die Formvorschriften des Landes einhält, in dem entweder
– das Testament errichtet (aufgeschrieben) wurde
– dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung oder im Todeszeitpunkt hatte,
– in dem der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung oder im Todeszeitpunkt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte,
– wo sich Immobilien befinden.
Es kann daher auch sein, daß mehrere Möglichkeiten aus den jeweiligen nationalen Gesetzen gleichzeitig in Frage kommen, also nach deutschem Erbrecht das handschriftliche und das notarielle Testament und dazu dann noch die Formvorschriften Englands. Wenn nach einer dieser Möglichkeiten eine wirksame Regelung vorliegt, dann gilt das in allen beteiligten Ländern als wirksames Testament.
Nachdem unsere Erblasserin Deutsche war und eine Immobilie in Deutschland das wesentliche Vermögen darstellt, kommen die deutschen Formvorschriften in Frage. Allerdings hätte die Verstorbene dafür das gesamte Testament eigenhändig verfassen oder einen Notar zur Beurkundung hinzuziehen müssen. Ausnahmen gibt es nur beim Nottestament, wenn man sich in Todesgefahr befindet und keine Möglichkeit besteht, rechtzeitig einen Notar herbeizurufen; das war aber nicht der Fall, so daß nach deutschem Recht kein wirksames Testament vorliegt.
Nach englischem Recht kann ein Testament zwar auch wirksam sein, wenn es nicht eigenhändig von der Erblasserin geschrieben wurde. Nachdem die Unterschriften der Erblasserin und der Zeugen aber nicht als Abschluß des Textes unten stehen sondern an der Seite, wird es auch nach englischem Recht nicht leicht sein, das eine Testament mühelos anerkannt zu bekommen. Und das maschinengeschriebene Testament wurde zwar unten unterschrieben, jedoch nur von der Erblasserin und nicht auch von den Zeugen, die in England erforderlich wären.
In diesem Fall ist es sicher, daß die Klärung der Erbfolge aufwendig und teuer wird, das Ergebnis ist noch nicht abzusehen. Möglicherweise war die ganze Mühe mit den beiden Testamenten vergebens, so daß in der gesetzlichen Erbfolge entfernte Verwandte alles erben werden, obwohl sie eigentlich gar nichts bekommen sollten. Dieser Fall zeigt einmal mehr, daß sich eine kompetente Beratung im Erbrecht lohnt. In anderen Lebensbereichen gehen die meisten Menschen schließlich auch zum Fachmann, anstatt es selber zu versuchen.