Erbfall des Monats - August 2016

Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Wie präzise müssen Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten formuliert werden? Zu dieser äußerst wichtigen Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) vor Kurzem eine Entscheidung getroffen. Das ist gerade in zwei häufigen Konstellationen wichtig: wenn ein Formular nur noch unterschrieben wird, ohne eigene Vorstellungen mit eigenen Worten zu formulieren oder auch, wenn die Formulierungen nur der Betroffene selbst versteht, andere Menschen jedoch den Text erklärt bekommen müssen, um Zweifel auszuräumen. Beides kommt in der Praxis trotz der weitreichenden Bedeutung derartiger Regelungen erschreckend häufig vor – ein Grund, der wider Erwarten viele überrascht, sind die sehr individuellen Vorstellungen in unserer pluralistischen Gesellschaft.

Das Problem ist in der Praxis vor allem, daß eine Patientenverfügung oft nicht konkret genug beschreibt, (1.) in welchen Situationen der/die Betroffene (2.) was genau haben will bzw. ablehnen möchte. Die schriftliche Verfügung hat nur dann Bedeutung, wenn der betroffene Mensch keinen Willen zur anstehenden medizinischen Maßnahme äußern kann, beispielsweise wegen Bewußtlosigkeit, und dann kann niemand mehr erklären, was er/sie mit unklaren Regelungen gemeint hat. Die Ursache für den oberflächlichen Umgang mit der eigenen Patientenverfügung ist oft eine Abneigung gegen das Nachdenken über existentielle Fragen.

Im aktuellen Fall ging es darum, daß ein älteres Ehepaar mehrere Formulare unterschrieben hat. Die Betroffene Frau hatte nach Schlaganfall und epileptischen Anfällen zur Zeit der Gerichtsentscheidung schon seit 2 1/2 Jahren massive Beeinträchtigungen der Hirnfunktionen, war nicht mehr in der Lage zu sprechen und mußte mit einer PEG-Sonde künstlich ernährt werden. Die Bevollmächtigte, eine der Töchter, war nun verpflichtet, die Patientenverfügung durchzusetzen. Sie hatte allerdings eine andere Meinung als die anderen Töchter dazu, was die Mutter wollte.

Im einem von beiden Ehegatten unterschriebenen Formular war eine Vollmacht enthalten, die auch für Gesundheitsfragen gelten soll, also eine sogenannte Vorsorgevollmacht. In diesem Formular waren auch Regelungen abgedruckt, wann keine ärztliche oder pflegerische Behandlung mehr gewollt ist. Das ist eine Patientenverfügung, die auch in der Vollmacht enthalten sein darf, auch wenn das aus anderen Gründen ziemlich ungeschickt geregelt ist. Beispiele für die Formulierungen sind:

„Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten. Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, […] daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt“. In einer weiteren Vollmacht des älteren Ehepaars ist nebenbei noch festgehalten: „Im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung legen wir keinen Wert auf lebensverlängernde Maßnahmen, wenn feststeht, daß eine Besserung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Vollmachtgeber wünschen eine angemessene und insbesondere schmerzlindernde Behandlung, nicht jedoch die künstliche Lebensverlängerung durch Gerätschaften. […] Schmerzlinderung hat Vorrang vor denkbarer Lebensverkürzung.“

Die fettgedruckten Begriffe können Sie, lieber Leser meines Blogs, gerne mit Ihren Bekannten, Nachbarn und Kollegen besprechen und dabei gemeinsam konkrete Beispiele ausdenken, in denen die Gesprächspartner ein Weiterleben wünschen oder ablehnen. Vermutlich versteht jeder etwas anderes unter den festgedrückten Begriffen, wenigstens werden sie ein bißchen diskutieren, bis Sie die selbe Meinung dazu haben.

Bei der Regelung zur Schmerztherapie (Palliativversorgung) kommt noch etwas anderes dazu: Ein guter Berater zur Patientenverfügung spricht offen an, daß manchmal nur die Wahl besteht, entweder durch Schmerzmittel in einen Zustand zu verfallen, in dem man nicht mehr ansprechbar ist – oder bei Bewußtsein zu bleiben und ein gewisses Maß an Schmerzen zu ertragen. Die Antwort auf diese Frage ist den meisten Menschen wichtiger als so manches, was in den gängigen Formularen steht. Eine Vollmacht sollte eine Vertrauensperson dazu ermächtigen, in Ihrem Interesse die Patientenverfügung durchzusetzen; dafür müssen beide Dokumente exakt aufeinander abgestimmt werden.

Was hat nun der BGH entschieden? Die Vollmachten haben nur pauschal auf „Entscheidungen gemäß BGB § 1904“ verwiesen, ohne zu erklären, was das bedeutet. Wissen Sie es? – Der BGH ging deshalb davon aus, daß den Vollmachtgebern nicht ausreichend deutlich vor Augen geführt wurde, was sie mit der Unterschrift unter diesem Formular regeln: Entscheidungen über Leben und Tod, nämlich die Einwilligung oder Ablehnung lebensgefährlicher Untersuchungen und Behandlungen in die Hände der Bevollmächtigten geben. Das hätte besser formuliert werden müssen, damit die Vollmacht wirklich „für alles“ gilt. Auch die Regelung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wollen, war dem BGH zu ungenau beschrieben, es fehlte nämlich der Bezug zu halbwegs präzisen Behandlungssituationen, in denen das gelten soll. Zur näheren Aufklärung des Sachverhalts hat der BGH an das Tatsachengericht verwiesen, da der BGH nur Rechtsfragen klären darf und nun in einer weiteren Beweisaufnahme vom Landgericht geklärt werden muß, was denn nun die Betroffene vermutlich wollte oder abgelehnt hat mit ihrer Unterschrift unter dem undeutlich formulierten Vordruck – einer der Fälle, in denen man zu den kostenlosen Formularen sagen muß: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht! Der BGH hat meiner Meinung nach richtig entschieden. Die Formulierungen in der Akte sind dermaßen unklar formuliert, daß sie viele Bedeutungen mit widersprüchlichen Auswirkungen haben können. Vielleicht findet das Landgericht in der Beweisaufnahme heraus, was wirklich gemeint war. Ansonsten bleibt das Schicksal der alten Dame leider dem Zufall überlassen. Es wäre jedenfalls nicht besser, wenn Richter eigenmächtig eine konkrete Bedeutung in unklare Formulierungen zu lebenswichtigen Fragen hineininterpretieren und damit den Betroffenen eine Fremde Meinung aufzwingen würden.

Und wenn dann noch eines der Kinder Vollmacht hat und ein anderes Kind etwas anderes für richtig hält, dann eskaliert der Streit in der Familie und die „Familientreffen“ finden nicht mehr am Kaffeetisch statt sondern in den Gerichtssälen aller Instanzen. Die Meinungsverschiedenheit zwischen den Töchtern im vorliegenden Fall macht außerdem überdeutlich, daß nicht einmal die eigenen Kinder verstehen können, was ihre Mutter mit der Patientenverfügung eigentlich bewirken wollte. Am Ende kann es in solchen Fällen passieren, daß ein fremder Berufsbetreuer als Kontrollbetreuer eingesetzt wird, damit er die Vollmacht des Kindes widerruft und als Außenstehender entscheidet, welche medizinische Behandlung Sie für richtig halten. Regeln Sie es lieber von Anfang an „wasserdicht“, auch wenn eine kompetente, individuelle Rechtsberatung beim (Fach-)Anwalt einige Euro teurer ist als ein Formular, für das niemand die Verantwortung übernimmt, wenn es Ihnen „richtig weh tut“.

Der Verfasser dieses Hinweises schickt seine Mandanten übrigens auch regelmäßig zum Arzt, damit der die gewünschten bzw. abgelehnten medizinischen Behandlungen und die Auswirkungen davon erklärt. Die Praxis zeigt leider, daß so manche Mandantin nicht versteht, warum ein Arzt diese Beratung nicht ohne konkrete Anmeldung zwischen Tür und Angel machen kann: Allzu oft wird mir dann gesagt, daß die Ärzte sich doch überhaupt keine Zeit dafür nehmen würden, und auf Nachfrage kommt dann raus, daß die Arztpraxis gar nichts vom Terminwunsch wußte sondern die Patientin beispielsweise wegen einer kleinen Routineuntersuchung einen Termin hatte und „nebenbei“ spontan noch etwas zur Patientenverfügung wissen wollte. Ohne angemeldeten Termin geht eine kompetente Beratung zu so einem wichtigen Thema nicht. Die Patienten müssen der Arztpraxis bei der Reservierung des Termins außerdem unbedingt sagen, daß ein Gespräch über die Auswirkungen einer Patientenverfügung gewünscht ist.

Zum Schluß erlaubt sich der Fachanwalt für Erbrecht noch den Hinweis, daß Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten auch zum Erbfall führen. „Lebenserhaltende Maßnahmen beenden“ bedeutet nämlich im Hinblick auf das Vermögen nichts anderes als „den Erbfall herbeiführen“. Bezüglich Rentenzahlungen und Unterhaltspflichten bedeutet das dann außerdem ein Ende der monatlichen Zahlungen, was je nach der Höhe der Rente und der Pflegekosten leider auch schon so manches Leben verkürzt, seltener auch wegen hoher Renteneingänge verlängert hat. Wer das bedenkt, kommt automatisch zu der Frage, ob der Bevollmächtigte ein naher Angehöriger (damit unterhaltspflichtig für Pflegekosten) und zukünftiger Erbe sein sollte oder nicht lieber ein Außenstehender, der ohne eigene finanzielle Interessen und vor allem auch mit weniger emotionaler Betroffenheit Entscheidungen trifft.

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