Stellen Sie sich vor, Sie erben mehrere Sparkonten. Aber die Sparkasse verhindert ein halbes Jahr lang, daß Sie die Kontrolle über Ihr geerbtes Geld haben. – Gibt’s doch gar nicht, denken jetzt bestimmt die meisten Leser? Doch! Im aktuellen Erbfall des Monats geht es um eine moderne Unsitte: Der Kunde bekommt einfach nichts, wenn er sein Geld heraus verlangt. Ausgerechnet bei der Sparkasse vor Ort, die früher doch immer dafür stand, daß solide, seriöse Angestellte alle Anliegen der Kunden akkurat bearbeiten und Ihr Geld sicher verwahren…. Leider häufen sich die Fälle, in denen so etwas passiert, insbesondere bei der Abwicklung von Nachlässen verstorbener Sparkassenkunden. Die Kunden bzw. ihre Erben fühlen sich dann wie David im Kampf gegen Goliath, nämlich in der schwächeren Position. Die Erfahrung zeigt aber auch, daß nicht nur damals der biblische David, sondern heute auch der „kleine Kunde“ gegen den scheinbar übermächtigen Gegner gewinnen kann. Im Detail sieht das dann häufig so aus, wie wir es die letzten Monate mit einem Mandant erlebt haben:
(1) Der Alleinerbe weist seine Erbenstellung nach durch eine beglaubigte Kopie des notariellen Testaments mitsamt einer Ausfertigung der Eröffnungsniederschrift des Nachlaßgerichts. Er kündigt das Sparguthaben und verlangt Auszahlung auf sein eigenes Konto. Er teilt der Sparkasse seine Adresse mit, damit die Kontoauszüge des ebenfalls geerbten Girokontos an seine Adresse geschickt werden, die etwa 500 km weit entfernt ist von der Wohnung seiner verstorbenen Erbtante.
(2) Nichts passiert. Der Erbe bekommt nicht einmal Kontoauszüge.
(3) Der Erbe und auch sein Rechtsanwalt erinnern mehrmals per eMail, Telefon und Brief an die Kündigung der Sparkonten und an die Überweisung. Er schreibt der Sparkasse auch, daß er das Geld braucht, um die Erbschaftsteuer auf dieses geerbte Guthaben bezahlen zu können.
(4) Wieder passiert nichts, einfach gar nix. Am Telefon wird behauptet, daß bisher keinerlei Post oder eMail vom Erbe bei der Sparkasse angekommen sei, und an die bisherigen Anrufe will sich sowieso niemand mehr erinnern. Erst als an einen eingeschriebenen Brief erinnert wurde, gab man zu, daß der bei der Filiale angekommen sein soll. Aber auch dieser Brief wird nicht bearbeitet.
(5) Die Sparkasse verlangt weitere Unterlagen, die angeblich erforderlich seien für die Abwicklung des Nachlasses. Eine Auszahlung könne deshalb noch nicht stattfinden. Der Anwalt des Erben weist die Sparkässlerin darauf hin, daß schon seit mehr als 120 Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch steht, wie ein Erbe an sein Geld kommt. Die Sparkässlerin antwortet unverblümt, sie wisse nicht, was im Gesetz steht, das sei in der Filiale der Sparkasse auch egal, sie interessiere sich nicht für Gesetze. (Anmerkung: So ist das eben, wenn ein Unternehmen nur diejenigen Gesetze gelten läßt, die im „Compliance-Handbuch“ aufgelistet sind – und alle anderen allgemeingültigen Regeln können die Angestellten beliebig brechen, ohne daß die Arbeitgeberin etwas dagegen unternimmt.) Der Anwalt des Erben sagt daraufhin deutlich, was er davon hält, wenn dem Erben sein Geld monatelang rechtswidrig vorenthalten wird. Daraufhin läßt die Sparkässlerin ihren Filialleiter beim Anwalt anrufen und diesen „rügen“, er solle gefälligst freundlicher mit der Sparkässlerin sprechen. Der Anwalt denkt sich seinen Teil und verlangt eine schriftliche und vollständige Auskunft, was jetzt denn noch alles nötig sei für die Bearbeitung der Kündigung des Sparguthabens und für die Überweisung an den Erben. Etwas später als vom Filialleiter der Sparkasse zugesagt kommt dann eine Liste mit Formularen und Dokumenten, die angeblich noch nötig seien (Anmerkung: Die Rechtslage sieht diese Hürden natürlich keinesfalls vor, aber der Erbe macht immer noch gute Mine zum bösen Spiel). Nachdem der Anwalt des Erben auch noch all diesen Papierkram vorgelegt hat, fällt der Sparkässlerin doch noch etwas anderes ein, was sie vor einer Überweisung des Guthabens an den Erben haben will.
(6) Der Erbe ist frustriert und verärgert, nachdem er schon mehr als vier Monate auf sein Geld wartet. Sein Fachanwalt für Erbrecht rät ihm zur Klage gegen die Sparkasse. Aber vor Gericht mit einer Sparkasse anlegen? Kann das gut gehen? Nach etwas Zögern vertraut der Erbe auf den Rat seines Anwalts, der ist immerhin Fachanwalt für Erbrecht und war früher mehrere Jahre lang bei Banken für Fortbildung im Erbrecht zuständig.
(7) Jetzt kommt Bewegung ins Spiel: (A) Klageerhebung beim Landgericht mit einer Begründung, die für die Sparkasse mehr als peinlich ist – (B) Zustellung der Klageschrift bei der beklagten Sparkasse ein paar Wochen später – (C) plötzliche Überweisung des Guthabens an den Erben. Liegt es daran, daß jetzt eine andere Abteilung bei der Sparkasse zuständig ist? Oder soll vor allem verhindert werden, daß eine öffentliche Gerichtsverhandlung und ein Urteil zu dieser Affäre den Ruf der Sparkasse ruinieren können? Wie auch immer: Das Ergebnis zählt, und jetzt nach mehr als einem halben Jahr wurden die Kündigung des Sparguthabens und die Überweisung endlich ausgeführt. David gegen Goliath ging „überraschend“ so aus, wie es seit über 120 Jahren im Gesetz steht.
Für den Erben ist jetzt schon „die Welt in Ordnung“. Sein Anwalt hat aber noch eine nette Überraschung für ihn bereit: Jetzt wird das Gerichtsverfahren für erledigt erklärt, Kostenerstattung beantragt, und danach muß die beklagte Sparkasse für ihr schuldhaftes Fehlverhalten die Prozeßkosten, also Gerichtsgebühren und Rechtsanwaltshonorar, an den Erben erstatten. Das heißt: Unterm Strich hat es den Erben nichts gekostet, er hat rundum gewonnen. Wenn Goliath gegenüber David im Unrecht ist, dann tut es nämlich Goliath weh – vorausgesetzt, daß David sich zur Wehr setzt, anstatt sich in das vermeintliche Schicksal zu fügen, man könne gegen große, mächtige Gegner doch gar nichts erreichen.