Erbfall des Monats - Juni 2022

Erstgeborenenrecht im Erbfall?

Eine Miterbin besteht darauf, daß sie als „Erstgeborenenrecht“ Anspruch darauf habe, das Elternhaus bis an ihr Lebensende kostenfrei zu bewohnen. Sie meint, ihre Geschwister (Miterben) hätten das zu dulden, außerdem habe der Vater das so in einem Testament geregelt, nachdem die Mutter (seine Frau) gestorben war. Allerdings haben die Eltern früher, bevor die Mutter der jetzigen Erben gestorben ist, ein „gemeinschaftliches Testament“ gemacht, in dem sie sehr ausführliche Regelungen für die Verteilung ihres jeweiligen gesamten Vermögens für ihre beiden Erbfälle getroffen haben, und da ist keine Rede von dem kostenlosen Wohnrecht der erstgeborenen Tochter; in diesem Ehegattentestament ist ausdrücklich Bindungswirkung für alle letztwilligen Verfügungen vorgesehen. Wie geht man damit um, wenn man als Miterbe das Haus in bevorzugter Lage lieber verkaufen möchte, als die älteste Schwester ein Leben lang kostenlos im geerbten Elternhaus wohnen zu lassen?
Die Rechtslage zu diesem Fall ist in einem Punkt zwar für viele juristische Laien überraschend, allerdings hat sich das wesentliche für diesen Fall schon seit mehr als 120 Jahren nicht mehr geändert: Ehegatten können in einem gemeinschaftlichen Testament sogenannte „wechselbezügliche Verfügungen“ treffen, so daß eine ähnliche Bindungswirkung wie bei einem Erbvertrag entsteht. Eigentlich sind Vereinbarungen unwirksam, die eine Verpflichtung zur Erbeinsetzung oder dergleichen als Vertragspflicht vereinbaren. In den beiden Ausnahmefällen des Erbvertrags und des Ehegattentestaments läßt die deutsche Rechtsordnung jedoch ausnahmsweise zu, daß man sich bindet, wie später einmal das Vermögen nach dem Tod vererbt wird. Konkret bedeutet das dann, daß zu Lebzeiten beider Ehegatten Änderungen nur noch gemeinsam vorgenommen werden können oder -wenn der andere Partner sich weigert- ein Widerruf der wechselbezüglichen letztwilligen Verfügungen nur durch Zustellung einer notariellen Erklärung möglich ist, damit man seine Vermögensnachfolge mit einem neuen Testament wirksam regeln kann. Nach dem Tod des ersten Ehegatten kann der zweite Ehepartner die wechselbezüglichen Regelungen für die Schlußerbfolge gar nicht mehr ändern, außer er schlägt das aus, was ihm im ersten Erbfall vom verstorbenen Ehegatten zugewendet ist. Der Fachbegriff „wechselbezügliche Verfügung“ meint nicht das gesamte Testament, sondern die einzelne Regelung darin. Es ist also möglich, daß ein Teil eines gemeinschaftlichen Testaments mit Bindungswirkung versehen wird, ein anderer Teil aber vom anderen Ehegatten frei geändert werden kann. Wechselbezügliche Verfügungen mit Bindungswirkung können außerdem nur drei Arten von Zuwendungen sein, nämlich Erbeinsetzung, Vermächtnisse und Auflagen; für Teilungsanordnungen oder die Auswahl eines Testamentsvollstreckers kann keine Bindungswirkung vereinbart werden, allerdings können hier bedingte Zuwendungen und andere erbrechtliche Tricks das gewünschte Ergebnis ein ganzes Stück weit herbeiführen.
Im aktuellen Fall beruft sich die älteste Tochter auf ein Testament, das der Vater nach dem Tod der Mutter errichtet hat. Es ist zwar umstritten, ob er das freiwillig getan hat oder nur deshalb, weil er unter Druck gesetzt wurde. Darauf kommt es aber schon deshalb nicht an, weil es wegen der Bindungswirkung des älteren gemeinschaftlichen Testaments unwirksam ist. Das Wohnrecht, das die älteste Tochter beanspruchen möchte, kann ihr vom Vater als Vermächtnis oder als Auflagenbegünstigung zugewendet worden sein, andere Formen der Zuwendung scheiden von vornherein aus. Für  Vermächtnis und Auflage gibt es aber eine Sperrwirkung durch das gemeinschaftliche Testament, in dem erstens das gesamte Vermögen verteilt und zweitens ausdrücklich für alle letztwilligen Verfügungen Bindungswirkung angeordnet wurde. Der Vater konnte davon nicht mehr wirksam abweichen, nachdem die Mutter verstorben war und er ihr Erbe aus dem gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich angetreten hatte.
Erstgeborenenrechte kennt das deutsche Erbrecht nicht. Darauf kann sich die älteste Tochter gegenüber ihren Geschwistern also auch nicht berufen. Außerdem liegen Briefe ihrer Eltern vor, in denen diese ihr ausdrücklich klarmachten, daß sie keine Bevorzugung gegenüber den anderen Kindern erwarten soll, weil die Eltern alle Kinder gleich behandeln wollten.
Die älteste Tochter versuchte nun ihr Glück, indem sie einen Rechtsanwalt nach einer Lösung für ihr Ziel suchen ließ. Nachdem sie keinen Fachanwalt für Erbrecht  nahm, hatte ihr Anwalt Ideen „abseits ausgetretener Wege“ und fand scheinbar eine „Zauberformel“: Das Testament des Vaters, das der nach dem Tod der Mutter vom Notar beurkunden ließ, sollte nun umgedeutet werden in eine schuldrechtliche Vereinbarung eines lebenslangen kostenlosen Wohnrechts.
Umdeutung einer letztwilligen Verfügung in einen schuldrechtlichen Anspruch scheidet jedoch aus mehreren Gründen aus: Auslegung der eigentlich gewollten Bedeutung der Worte im Testament hat Vorrang vor einer Umdeutung in ein anderes Rechtsgeschäft.  Die Auslegung sollte bei Anwendung der Andeutungstheorie zum eindeutigen Ergebnis kommen, daß die Klagansprüche nicht bestehen können.  Im gemeinschaftlichen Ehegattentestament der Eltern ist nämlich keine Rede von dem Recht, das die älteste Tochter nun für sich beansprucht, statt dessen sollen die Kinder im Ergebnis gleich behandelt werden.
Dazu kommt ein weiteres Hindernis: Wenn die Beteiligten eines unwirksamen Rechtsgeschäfts dessen Unwirksamkeit kannten, kommt keine Umdeutung in Betracht; sie brauchen dann ja keinen Schutz für die fehlgeschlagene Zielerreichung, und sie sollen dann auch nicht gegen ihren Willen etwas aufgedrängt bekommen, was sie gerade nicht regeln wollten.  Und die älteste Tochter wurde schon vor Jahren von Juristen darauf hingewiesen, daß ihr der Vater am Ehegattentestament vorbei keine wirksamen Zuwendungen machen konnte.  Sie konnte sich also nicht darauf verlassen, für irgend etwas eine Gegenleistung zu bekommen, die im Widerspruch steht zu den bindenden Verfügungen aus dem gemeinschaftlichen Testament der Eltern.
Bei einer Umdeutung ist außerdem zu beachten, ob diese dem wirklichen oder wenigstens mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht; hierbei ist die Beweislast zu berücksichtigen.  Es reichte also schon aus, daß die anderen Kinder vor Gericht mit Nichtwissen bestreiten, daß der Erblasser ein lebenslanges Wohnrecht für die Klägerin haben wollte oder eine Zahlung der Erbengemeinschaft an die Klägerin. Die älteste Tochter versuchte zwar, ihre Ansprüche zu beweisen.  Sie konnte aber nur Schreiben der Eltern vorlegen, die jedenfalls sehr deutlich dagegen sprechen, daß die Klägerin die eingeklagten Rechte überhaupt bekommen sollte.  Außerdem ließ die Klägerin ihren Anwalt vortragen, daß ihre Eltern beim Verfassen des Testaments juristisch beraten waren, was eine Umdeutung praktisch unmöglich macht.  Es ist also evident, daß kein Spielraum für eine Umdeutung in einen Vertrag oder dergleichen ernsthaft in Betracht kommt.

Das notarielle Testament des Vaters war unwirksam, weil es gegen die bindenden Verfügungen aus dem älteren Ehegattentestament verstieß, worauf der Notar ihn bei de rBeurkundung auch ausdrücklich hingewiesen hat.  Dieses einseitige Testament des Vaters kann auch nicht hilfsweise in eine Schenkung oder dergleichen umgedeutet werden, weil die Beurkundung wegen der Beratungs- und Belehrungsfunktion des Notars für die zutreffende und vollständige Wiedergabe des Willens der Beteiligten einer Urkunde spricht (BeurkG § 17).

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