Erbfall des Monats - November 2019

Erbschleichen für Fortgeschrittene

Sprichwörter haben regelmäßig in ihrem Kern die Lebensweisheit von Generationen zusammengefaßt. Beim Erben geht es oft um viel Geld. Das Sprichwort „Geld verdirbt den Charakter“ stimmt zwar nicht ganz, im Kern des Sprichworts steckt aber etwas Wahres, denn Geld ist ein guter Indikator, um guten oder schlechten Charakter sichtbar zu machen. Der Erbfall des Monats dreht sich um einen „alten Freund“ der Erblasserin, der allzu oft den Bogen überspannt hat, um an möglichst viel Geld zu kommen. Der Neffe der Erblasserin ist Testamentsvollstrecker, lebt in den USA, und wollte eigentlich zu allen Beteiligten fair und nett sein. Und wegen ein oder zwei holprigen Erlebnissen mit einem anderen Menschen sollte man noch nicht davon ausgehen, daß er böses im Schilde führt. Doch im Lauf der Zeit gab es dann doch zu viele „unerfreuliche“ Dinge:
Die unerfreuliche Geschichte begann damit, daß die alte Dame einem befreundeten Kollegen (L.) eine Bankvollmacht erteilte, der fast 20 Jahre jünger war als sie selber. Sie war eben betagt, ihre Augen wurden immer schlechter, und sie vertraute L. ihre Geldanlagen und Überweisungen an. Eine zeitlang ging auch alles gut. Als die alte Dame starb, erfuhr der Neffe in den USA erst nach dem Tod davon. Er dachte, daß der Tod kurzfristig eingetreten sei und reiste innerhalb von 3 Tagen an, um seine Tante zu beerdigen. Da hatte der Bevollmächtigte L. aber schon Bestatter und Entrümpeln beauftragt; als der Neffe eine halbe Woche nach dem Tod der Tante in ihrer Wohnung eintraf, war bereits der halbe Hausrat schon weggeschafft. Das wunderte ihn genauso wie die Tatsache, daß die Beerdigung nicht von ihm organisiert werden konnte, weil L. das von heute auf morgen ohne Rücksprache it den Verwandten erledigt hatte. Als nächstes verweigerte L. dem Neffen, der immerhin der nächste Angehörige der Verstorbenen ist, die Übergabe wenigstens eines Exemplars der Sterbeurkunde. Aber der Neffe versuchte immer noch, zu allen freundlich zu sein, und lud L. und dessen Frau auch noch zum Abendessen ein. Die L.s erzählten ihm bei dem Essen einiges, aber nichts über ihre Aktivitäten, die in den darauffolgenden Monaten scheibchenweise ans Tageslicht kamen: Als L. Rechnungen zur Erstattung vorlegte für Ausgaben, um die sich normalerweise der Neffe gekümmert hätte, beauftragte der einen Rechtsanwalt mit der Prüfung, was er bezahlen muß und was nicht. Der Neffe hatte inzwischen nämlich den Eindruck, daß L. eigenmächtig mit dem Vermögen der alten Dame umgegangen war. Außerdem standen im Testament ausführliche Regelungen zu Antiquitäten, Glasvasen, Bildern und anderen Gegenständen, die an den Neffen und andere Personen vermacht waren – in der Wohnung fehlten diese Sachen aber fast alle, als der Neffe eine halbe Woche nach dem Tod der Tante ankam und der Entrümpeln im Auftrag des L. zugange war. Es waren einfach schon zu viele auffällige Vorkommnisse, als daß der Neffe jetzt noch alles einfach so hinnehmen konnte. Steter Tropfen höhlt den Stein. L. hatte zu viele „Aktionen“ begangen, so daß jetzt die ganze Angelegenheit überprüft wurde.
Der Anwalt des Neffen fand heraus, daß beim Entrümpler immerhin noch ein paar Bilder aus der Wohnung der Erblasserin im Lager waren. Wenigstens diese Erinnerungsstücke konnte er abholen und dem Neffen übergeben. Bei der Gelegenheit stellte sich auch heraus, daß der Entrümpler von L. beauftragt wurde, als die Erblasserin noch lebte. L. hatte dem Entrümpler gesagt, daß sie im Sterben liege und bald die Wohnung schnellstmöglich geräumt werden solle. Leider „vergaß“ L., den Neffen in den USA zu informieren, daß seine Tante im Sterben lag, dem wurde erst im Nachhinein die Todesnachricht mitgeteilt. Und der Entrümpler war bei diesem Auftrag auch etwas verwundert, daß nur Reste des Hausrats zu räumen waren; die meisten Möbel und fast alle schönen Einrichtungsgegenstände hatten L. und seine Frau bereits zu sich nach Hause genommen. L. wußte nicht, daß der Anwalt des Neffen diese Erkundigungen angestellt hat. L. schrieb auf Nachfrage des Anwalts, daß die Erblasserin in den letzten Jahren diese ganzen Sachen an ihn und seine Frau verschenkt habe. Da wußte L. noch nicht, daß der Anwalt des Neffen von einem Zeugen wußte, daß am Tag nach dem Todesfall die Sachen noch in der Wohnung der Erblasserin waren, die diese angeblich schon zu Lebzeiten verschenkt haben soll.
Nach diesem Erlebnis schaut man sich natürlich auch die Bankverbindung etwas genauer an. L. hatte die ganzen Kontoauszüge bei sich und weigerte sich ein halbes Jahr lang, sie an den Testamentsvollstrecker herauszugeben. Als Bevollmächtigter der alten Dame ist er natürlich verpflichtet, Rechenschaft abzulegen über seine Verwaltung der Bankkonten und Wertpapierdepots. Dabei spielt es keine Rolle, ob er dafür bezahlt wurde oder nicht. Und selbstverständlich hat er alles herauszugeben, was er als Bevollmächtigter für die alte Dame erhalten hat. Nach deren Tod sind die Erben bzw. im vorliegenden Fall der Testamentsvollstrecker dafür zuständig, die geerbten Rechte auszuüben. Und wenn ein untreuer Bevollmächtigter Kontoauszüge nicht herausgeben will, dann kann er froh sein, wenn nicht gleich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird oder Herausgabe der Unterlagen eingeklagt wird. Der Neffe wollte ja als Testamentsvollstrecker nett und fair zu allen sein, also ließ er seinen Anwalt bei den Banken nachfragen. Kontoauszüge und Auszahlungsbelege mit Unterschrift kann man auch als Mehrfertigung noch einmal bekommen, so daß im Handumdrehen die nötigen Informationen vorlagen. Und siehe da: L. hatte einige tausend Euro unberechtigt auf die Seite geschafft, unter anderem mit einer Barabhebung von € 2.000 kurz nach dem Todesfall. Er ließ seinen Anwalt schreiben, das Bargeld sei für Beerdigungskosten abgehoben worden. Das riecht im Zeitalter von Überweisungen doch sehr nach einer faulen Ausrede, zumal L. in den letzten Jahren viele Überweisungen für die Erblasserin vorgenommen hat. Dazu kommt dann auch noch, daß L. seinen Anwalt behaupten läßt, er habe mit den Bankschließfächern der alten Dame überhaupt nichts zu tun gehabt – ein Zeuge hat aber bestätigt, daß L. einige Wertsachen aus einem der Schließfächer mitgenommen hat. Der Neffe fängt zwar an, seinem Anwalt gegenüber deutliche Worte über L. zu benutzen, er möchte als Testamentsvollstrecker aber immer noch nett bleiben und sucht nach einem eleganten Ausweg, der L. eine Brücke baut. Und dafür sieht er eine Möglichkeit:
Das Testament der Erblasserin ist handschriftlich verfaßt. Sie schrieb es, als es ihr noch gut ging. Auf der Rückseite ist allerdings eine Ergänzung, mit der die Ehefrau von L. auch einige Prozent vom Erbe bekommen soll. Bei dieser Testamentsänderung fällt aber schon auf den ersten Blick auf, daß die Schrift etwas anders ist als auf der Vorderseite des Testaments. Außerdem ist die Unterschrift mit einem anderen Stift geschrieben worden als der Text darüber. Dazu kommt dann noch, daß die Erblasserin am Tag der Testamentsänderung bereits einen Blindenausweis hatte, sie sah nur noch 10% auf einem Auge, auf dem anderen überhaupt nichts mehr. Wenn man das weiß, wundert man sich umso mehr, daß das Testament in normaler Schriftgröße geschrieben ist – die Testatorin konnte das gar nicht mehr lesen! Außerdem hatte sie eine leichte Demenz. Und wer sich etwas auskennt, der weiß, wie leicht hilfsbedürftige Menschen zu beeinflussen sind, gerade wenn „hilfreiche Geister“ als Erben eingesetzt werden wollen.
Eigentlich könnte der Neffe nun vom Gericht feststellen lassen, daß die Testamentsänderung unwirksam ist, Frau L. also nichts bekommt. Und ein Schriftgutachter könnte herausfinden, wer die Testamentsergänzung geschrieben hat; wenn das L. war, wäre er erbunwürdig und hätte seine Erbeinsetzung verwirkt. Dazu könnte man ihn noch auf Herausgabe der Einrichtungsgegenstände und des Geldes verklagen, die er sich angeeignet hat. Der Neffe möchte aber möglichst friedlich und zügig den Nachlaß abwickeln und schlägt deshalb vor, daß Herr und Frau L. damit einverstanden sind, daß sie vom Nachlaß nichts bekommen und dafür alles behalten dürfen, was sie bereits von der alten Dame haben. Wenn die beiden sich darauf einlassen, brauchen sich die anderen Testamentserben und Vermächtnisnehmer nicht länger mit den L.s herumärgern, was ja auch ein Vorteil ist.
Dieser Erbfall ist deshalb nicht ganz alltäglich, weil die L.s so vieles auf einmal „übertrieben“ haben. Damit haben sie sich selber das Handwerk gelegt. Wenn es nur wenige Auffälligkeiten gegeben hätte, dann hätte niemand die Details recherchiert. Ungewöhnlich ist auch, daß der Testamentsvollstrecker den L.s jetzt noch einmal eine Chance gibt, ungeschoren davonzukommen. Es bleibt spannend, ob sie auf das Angebot eingehen werden.

Falls wir Ihr Interesse geweckt haben, melden Sie sich gerne bei uns.

Wir sind umgezogen

Wir haben einen neuen Standort! Besuchen Sie uns jetzt in der Uhlandstraße 16, 70182 Stuttgart. Freuen Sie sich auf unsere gewohnte Qualität an unserem neuen Ort!