Zur Zeit beschäftigt mich ein interessanter Erbfall, den bisher niemand lösen wollte. Ein irischer Staatsbürger und seine irische Ehefrau hatten ein Haus in Irland und eine Eigentumswohnung in Deutschland. Sie lebten knapp die Hälfte des Jahres in Deutschland, hatten hier auch einen Zweitwohnsitz amtlich angemeldet. Eines ihrer Kinder lebt hier und sie waren regelmäßig zu Besuch hier; für diese Aufenthalte hatten sie die Wohnung hier gekauft. Überwiegend lebten sie aber in Irland. Dort hatten sie auch ihre Freunde und die meisten ihrer Verwandten. Testament gab es keines.
Grundbuchberichtigung gemäß Erbrecht am Zweitwohnsitz
Nachdem der Ire verstorben war, wollte sich niemand die Mühe machen, das Grundbuch in Deutschland zu berichtigen und die Erben einzutragen. Die Nachlaßrichterin gab den Rat, keinen Erbschein zu beantragen, weil doch sowieso nichts passieren würde, wenn der Erbfall nicht abgewickelt wird. Der Rat ist juristisch nicht ganz korrekt, im Grundbuch müssen schon die aktuellen Eigentümer eingetragen sein. Wenn ein Eigentümer stirbt, sind das die Erben. Und wenn die Erben innerhalb von zwei Jahren nach dem Todesfall beantragen, daß sie eingetragen werden, dann sparen sie sogar die Gebühr für die Eintragung ins Grundbuch. Die Grundbuchberichtigung sollte also schon gemäß dem geltenden Recht am Zweitwohnsitz erfolgen. Die Frage ist aber, nach welchem nationalen Erbrecht sich das richtet, wenn ein Ire einen Teil seines Nachlasses am Zweitwohnsitz in Deutschland hinterläßt.
Der Fall klingt auf den ersten Blick schwierig. Wenn man sich die Rechtslage anschaut, sind es aber vor allem drei Fragen mit überraschend einfachen Antworten:
Irisches Erbrecht
Irisches Erbrecht interessiert sich nicht für Immobilien in anderen Ländern. Dort gilt für Grundstücke und Eigentumswohnungen, daß diejenige Rechtsordnung alles regeln und entscheiden soll, die für die Immobilie örtlich zuständig ist. Das kann zur Nachlaßspaltung führen, so daß in jedem Land unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Erbquoten Erbe werden. Aus irischer Sicht ist das in internationalen Erbfällen eben so.
EU-Erbrechts-Verordnung
In der Europäischen Union gab es im Sommer 2015 eine gemeinsame Regelung zur Zuständigkeit der Nachlaßgerichte und zum anwendbaren Recht für grenzüberschreitende Erbfälle. Das ist eine große Erleichterung, wenn man nur weiß, wie man diese Regeln anwendet. Es reicht dann ein einziges Dokument für die Abwicklung aus, das Europäische Nachlaßzeugnis. Und die Frage, wer Erbe ist und mit welcher Erbquote, wird einheitlich beantwortet für alle beteiligten Staaten.
Irland ist zwar Mitgliedstaat der EU. Bei der Europäischen Erbrechtsverordnung hat Irland aber nicht mitgemacht. Für deutsche Gerichte sind die Regeln der EU-Erbrechts-Verordnung aber auch für Fälle anwendbar, in denen es Vermögenswerte in Drittstaaten gibt.
Deutscher Nachlaßfall
Normalerweise ist bei uns das Nachlaßgericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Wenn in Deutschland aber Nachlaßgegenstände sind, die sonst nicht abgewickelt werden könnten, dann kann für diese inländischen Nachlaßgegenstände auch ein deutsches Gericht zuständig sein. Das Nachlaßgericht für die Eigentumswohnung des aktuellen Erbfalls ist in Deutschland das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Erblasser zuletzt gewohnt hat. Falls er nie in Deutschland gewohnt hat, ist das Amtsgericht zuständig, das für die vererbte Wohnung zuständig ist („Belegenheitsort“). Dieses Gericht muß dann schauen, welches nationale Erbrecht für den Fall regelt, wer denn nun Erbe geworden ist.
Aus unserer Sicht wird der gesamte Erbfall im Normalfall von dem nationalen Erbrecht geregelt, das am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers gilt. Das ist ein anderes Kriterium als ein Hauptwohnsitz. Nachdem der Erblasser in diesem Fall aber eindeutig engere Beziehungen zu seinem Heimatland Irland hatte, wer auch die überwiegende Zeit des Jahres verbracht hat, war sein gewöhnlicher Aufenthaltsort in Irland. Aus unserer Sicht ist also irisches Erbrecht für die deutschen Vermögenswerte anzuwenden.
Wer wird Erbe?
Der Verstorbene hat kein Testament hinterlassen. Es gilt also gesetzliche Erbfolge („Intestate Succession“). Im irischen Erbrecht gilt dann, daß der Ehegatte zwei Drittel erbt, die Kinder insgesamt ein Drittel. Das sind andere Erbquoten als im deutschen Erbrecht.
Zwar sieht das irische Gesetz in Section 56 des Succession Act 1965 vor, daß der überlebende Ehegatte ein Anrecht auf die Wohnung hat, wenn die im Eigentum des Erblassers stand und in der der überlebende Ehegatte in diesem „dwelling ordinarily resident“ war. Das bedeutet ungefähr so viel wie seinen Hauptwohnsitz dort zu haben. Das spielt im vorliegenden Fall aber aus zwei Gründen keine Rolle: „Resident“ kann man nach angelsächsischen Common Law nur an einem einzigen Ort sein, ein Zweitwohnsitz reicht dafür nicht aus. Dazu kommt noch, daß das irische Recht diese Regelung so gestaltet hat, daß der Wert der Wohnung auf den Erbteil des Ehegatten angerechnet wird. In unsere Fachausdrücke übersetzt ist das wie eine Teilungsanordnung, Erbe werden trotzdem zunächst der überlebende Ehegatte und die Kinder des Erblassers gemeinsam. Außerdem ist das irische Recht auf die Immobilie in Deutschland nicht anwendbar:
Besonderheit: Rückverweisung im Internationalen Privatrecht
Jetzt gibt es noch eine Besonderheit zu beachten, nämlich eine sogenannte „Rückverweisung“ (Renvoi) im Internationalen Privatrecht. Die Grundlagen dazu sind recht einfach zu erklären: Das deutsche Recht verweist für die gesamte Erbschaft auf Irland, weil der Erblasser dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das irische Recht verweist für die deutsche Immobilie auf deutsches Erbrecht. Damit keine Endlosschleife entsteht, nehmen wir diese Rückverweisung an und wenden deutsches Recht für das Vererben der Immobilie in Deutschland an. Für die anderen Vermögensgegenstände dieser Erbschaft gilt aus Sicht beider Länder das irische Erbrecht.
Antrag auf Erbschein für Grundbucheintrag zur Zweitwohnung
Für die Umschreibung im Grundbuch, mit der die Erben eingetragen werden und dann die Wohnung beispielsweise verkaufen können, ist ein Erbschein nötig. Den kann jeder Miterbe beantragen. Der Erbschein für den Grundbucheintrag wird vom Nachlaßgericht erteilt. Im Ergebnis ist sogar deutsches Erbrecht auf diese Immobilie anzuwenden. Insgesamt ist der Fall am Ende aber doch relativ einfach. Damit es keine unnötigen Verzögerungen für die Arbeit des Nachlaßgerichts gibt, lohnt sich in solchen Fällen die Hilfe eines Rechtsanwalts mit Erfahrung in deutsch-irischen Fällen beim Antrag auf den Erbschein. Er wird die Rechtslage so darstellen, daß das Nachlaßgericht das ohne großen Aufwand nachvollziehen kann.