Erbfall des Monats - Januar 2014

“Doppelpass” im Erbfall

Mehrfache Staatsangehörigkeit kommt immer häufiger vor und wird seit Jahren als Segen in einer modernen, multikulturellen Gesellschaft gepriesen. Manchmal ist es gut zu überlegen, was für Konsequenzen das dann hat. Welche Auswirkungen hat eine Staatsangehörigkeit eigentlich auf Erbfälle? Wer mehrere nationale Identitäten hat, vervielfältigt damit auch seine juristischen Fragen und die möglichen Probleme. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß auch die Kenntnisse der ‚Spielregeln für das richtige Leben‘ (auf amtsdeutsch: der Rechtsordnung) größer werden als beim ‚konservativen‘ Staatsbürger mit nur einer Staatsangehörigkeit. Schauen wir uns anhand des folgenden Beispielsfalls an, wie sich mehrfache Staatsangehörigkeit auf Erbschaften auswirkt:

Der kinderlose Erwin wollte mit 50 Jahren noch mal etwas unternehmen. Er zog vom gelobten Schwabenland nach Argentinien. Dort lernte er eine Frau kennen, die ihm gefiel. Diese Frau hatte deutsche Vorfahren und sprach auch ganz gut deutsch. Die beiden heirateten wenig später, Erwin kaufte ein Haus in Buenos Aires und genoß dort den vorzeitigen Ruhestand. Er sorgte sich um nichts weiter, behielt die deutsche Staatsangehörigkeit und hatte durch seine argentinische Frau ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Ehevertrag oder sonstige Regelungen gibt es keine, Erwin und seine Frau wollten keine Formalien erledigen sondern das Leben unbeschwert genießen.

Als Erwin starb, fing der Ärger aus zwei Gründen an:

(1.) Die argentinische Witwe war es gewohnt, daß die Witwe eines kinderlosen Erblassers Alleinerbin wird. Erwin hatte ja kein Testament hinterlassen, also galt die gesetzliche Erbfolge. Und nachdem er seinen Wohnsitz in Argentinien hatte, galt aus argentinischer Sicht das argentinische Erbrecht. Die deutschen Geschwister von Erwin hatten hier eine andere Vorstellung, weil das deutsche Erbrecht nicht vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt sondern von der Staatsangehörigkeit des Erblassers abhängt. Und Erwin war ja Deutscher geblieben, er hat keine zweite Staatsangehörigkeit beantragt. Nach deutschem Erbrecht wird die Witwe des kinderlos verstorbenen Erblassers ‚nur‘ Miterbin in Erbengemeinschaft mit den Verwandten der zweiten Erbordnung.

Die deutschen Verwandten wollten als Miterben wissen, was alles zum Nachlaß gehört. Sie wollten sich an den Verbindlichkeiten des verstorbenen Bruders mit ihrer jeweiligen Erbquoten beteiligen und auch ihren Anteil an dem Haus in Buenos Aires haben, das zum Nachlaßbestand gehörte. Außerdem hatte Erwin noch ein Bankkonto und eine kleine Mietwohnung im Heimatort in Deutschland, was die Erbengemeinschaft ja auch alles gemeinsam abwickeln mußte. Sie hielten ihr Angebot für fair, daß die Abwicklung im jeweiligen Land durch die dortigen Verwandten erledigt wird und dann am Ende das gesamte geerbte Vermögen durch die Erbquoten geteilt und im Rahmen der Nachlaßteilung auf die einzelnen Erben aufgeteilt wird.

Die argentinischen Verwandten waren massiv darüber verärgert, daß die deutschen Verwandten sich überhaupt nach der Erbschaft erkundigten. Sie gingen ja wegen des argentinischen Erbrechts davon aus, daß außer der Witwe niemand etwas erbt. Daher hielten sie die Geschwister des Erblassers für Erbschleicher und gaben keine Auskünfte; für das Vermögen in Deutschland beantragte die Witwe beim Nachlaßgericht einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns auswies.

Umgekehrt hielten die deutschen Verwandten die Sippe der Witwe für Erbschleicher, die Ihnen die Erbteile streitig machten, die ihnen nach deutschem Recht zustanden. Bei mehrfacher Staatsangehörigkeit wäre bereits an dieser Stelle ein Problem, das kaum zu lösen ist: Eine Person kann ja nicht gleichzeitig zweimal beerbt werden, um den Nachlaß jeweils einmal nach den Regeln der Erbrechte aller seiner Staatsangehörigkeiten zu verteilen.

Bei Immobilien ist es bei solchen Kollisionen nationaler Rechte eigentlich relativ einfach: Das Grundbuchamt geht von dem Erbrecht und von dem ‚Internationalen Privatrecht’ aus, das nach den Regeln dieses Landes anzuwenden ist. In Erwins Erbfall wird also jedenfalls das Eigentum an der Wohnung in Deutschland wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Erblassers nach deutschem Erbrecht auf seine Erbengemeinschaft übergehen. Die Geschwister des kinderlosen Erwin erben hier also auch einen Anteil. Nur: Wie hoch ist der? Als Randbemerkung sei darauf hingewiesen, daß ein schwer lösbares Problem vorläge, wenn Erwin nach seinem Umzug ins Ausland mit mehreren Staatsangehörigkeiten aber ohne Testament verstorben wäre. Mehrfache Staatsangehörigkeit ruft besondres laut nach einer individuellen Regelung, einer letztwilligen Verfügung. Und die wird nur dann reibungslos abzuwickeln sein, wenn ein sehr kompetenter Berater an der Formulierung der testamentarischen Regelung mitwirkt.

(2.) Bei Erwins Erbfall kommt hoc einer zweite Fragestellung dazu: Die Erbquote der Witwe hängt im deutschen Erbrecht außerdem vom Ehegüterstand ab. Wer in Deutschland verheiratet ist und keinen Ehevertrag schließt, hat den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft als Güterstand. Und in der Zugewinngemeinschaft bekommt der länger lebende Ehegatte zusätzlich zur Erbquote ins weiteres Viertel vom Nachlaß als pauschalierten Zugewinnausgleich. Diese Erhöhung des Ehegattenerbteils bekommt die Witwe aber nur, wenn sie mit Erwin in der Zugewinngemeinschaft gelebt hat, jedoch in keinem anderen Güterstand.

Erwin hat ja aber in Argentinien eine ausländische Staatsangehörige geheiratet. Damit stellt sich die Frage, ob deutsches Ehegüterrecht überhaupt angewendet werden kann. In diesem konkreten Fall, in dem die Ehegatten unterschiedliche Staatsangehörigkeiten haben und mit einem gemeinsamen Wohnsitz außerhalb Deutschlands geheiratet haben, gilt gemäß deutschem ‚Internationalem Privatrecht‘ (AGBGB Artt. 14 Abs. 1, 15 Abs. 1) in Erwins Fall argentinisches Ehegüterrecht. Die dortige ‚sociedad conyugal‘ ist nicht mit der deutschen Zugewingemeinschaft vergleichbar, es handelt sich vielmehr um eine sogenannte ‚Errungenschaftsgemeinschaft‘ des Ehepaars. Somit scheidet de pauschalierte Zugewinnausgleich für Erwins Witwe aus. Das dachten jedenfalls seine Geschwister und beantragten einen Erbschein mit entsprechenden Erbquoten: Für die Witwe 1/2, für jeden der zwei Brüder 1/4 als Erbteil. Beim Erbscheinsantrag wurde unter anderem die Heiratsurkunde des Standesamts von Buenos Aires vorgelegt, in dem die Witwe ‚nur‘ als argentinische Staatsangehörige bezeichnet ist.

Der Erbschein gefiel der Witwe und ihren Verwandten nicht. Sie beauftragten einen Anwalt, den Erbschein einziehen zu lassen und einen neuen Erbschein unter Berücksichtigung des pauschalierten Zugewinnausgleichs zu erteilen. Als Begründung wurde plötzlich genannt, daß die Witwe ihr Leben lang deutsche Staatsangehörige war, also die Voraussetzungen des EGBGB Art. 14 Abs. 1 Ziffer 1 vorlagen, wonach für zwei deutsche Ehegatten das deutsche Ehegüterrecht gilt, egal wo sie leben oder wo sie geheiratet haben. Die mehrfache Staatsangehörigkeit war wohl eine Folge emotionaler Verbundenheit mit den Vorfahren gewesen, ohne auf die Folgen zu achten. In diesem Fall hat sie hier einiges an Ärger in die Familie gebracht und auch beim Nachlaßgericht einigen zusätzlichen Aufwand bedeutet, bis der richtige Erbschein erteilt war.

Dieses Beispiel zeigt, wie problematisch eine rein emotional getroffene Entscheidung für mehrere Staatsangehörigkeiten sein kann. Früher mußte man auswandern, damit verschiedene nationale Erbrechtsordnungen sich gegenseitig in die Quere kommen. Mit mehrfacher Staatsangehörigkeit würde das zweiteilige Beispiel sogar dann zum Problem führen, wenn ein Erblasser mit mehrfacher Staatsangehörigkeit nie aus seinem beschaulichen Heimatdorf herausgekommen ist.

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