Erbfall des Monats - März 2021

Bei heftigem Erbstreit hilft: nachdenken und Tee trinken

In den letzten Jahren erleben wir immer häufiger merkwürdige Verhandlungsstrategien, wenn jemand etwas haben will, ohne daß es dafür eine Berechtigung gäbe. Erfahrungsgemäß lohnt es sich gerade in solchen Fällen, erst einmal in aller Ruhe nachzudenken und Tee zu trinken. Aktuell beschäftigt uns dieser Fall hier:
Ein Ehepaar war in jeweils zweiter Ehe miteinander verheiratet. Beide hatten je eine Tochter aus erster Ehe und lebten zuletzt im Pflegeheim. Dann verstarben sie kurz nacheinander. Einen rechtlichen Betreuer ließen sie sich bestellen wegen körperlicher Gebrechen, die beispielsweise das Ausfüllen von Überweisungsformularen der Bank schwer machten, weitere Einschränkungen sind nicht bekannt. Die beiden hinterließen ein Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und als Schlußerben die Töchter aus ihren jeweiligen ersten Ehen. Eine der beiden Töchter sollte Testamentsvollstreckerin werden.
Nachdem die Frau gestorben war, machte ihre Tochter (Adolphine Hemingway) dem Witwer das Leben schwer. Sie beantragte beim Nachlaßgericht, daß sie schon jetzt ein Testamentsvollstreckerzeugnis bekomme – obwohl es gar keinen Sinn macht, den länger lebenden Ehegatten als Alleinerben unter Testamentsvollstreckung zu stellen, wenn keine besondere Situation mit entsprechender Absicherung im Testament erwähnt wird. Außerdem nahm sie aus der Wohnung, die ihre verstorbene Mutter und deren Ehemann hatten, ungefragt den gesamten Schmuck mit – einschließlich der Schmuckstücke ihres Stiefvaters.
Dem Witwer gefiel diese Situation überhaupt nicht. Er bat seine Tochter (Mary MacLeod) und seinen Betreuer, daß sie ihm beim Umzug in seine alte Heimatregion in England helfen. Das taten sie auch. Damit galt für ihn aus deutscher Sicht gemäß EU-Erbrechtsverordnung englisches Recht für seinen späteren Erbfall, weil er ja seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nach England verlegt hatte. Dort hatte er enge soziale Kontakte, vor allem zu seiner Tochter und auch zu alten Freunden aus seinen jungen Jahren. Das deutsche Ehegattentestament war somit nicht mehr „in Stein gemeißelt“. Als er starb, war als Nachlaßgericht der „Probate Court“ der Justiz des Vereinigten Königreichs zuständig. Und dort wird für jemanden, der am Lebensende in seiner alten Heimatgegend wohnt, englisches Erbrecht angewendet. Das Erbrechtssystem ist dort völlig anders als in Deutschland, so daß man beim dauerhaften Umzug zwischen den beiden Ländern am besten sein bisheriges Testament vom kompetenten Rechtsanwalt prüfen läßt und dann in den meisten Fällen einen neuen letzten Willen verfaßt.
Genau so machte es auch der Witwer im aktuellen Fall: Er ließ sich in England von einem „Solicitor“ beraten; nachdem es schon vor seinem Umzug Streit mit der Stieftochter gegeben hat, ging man auf Nummer sicher und ließ keinen Raum für Zweifel an irgendetwas. Der Solicitor ließ vor der Unterschrift unter dem Testament einen Psychiater ein Gutachten erstellen, ob der Testator denn bei ausreichend klarem Verstand ist, um das Testament wirksam zu errichten. Genau das bestätigte der Psychiater. Normalerweise sollte jetzt alles so laufen, wie es im letzten Testament geregelt ist.
Die Stieftochter wollte aber mehr haben, als jetzt noch für sie vorgesehen war. Als ihr Stiefvater in England starb, fing sie einen Erbstreit mit ihrer Stiefschwester an, die in England als Testamentsvollstreckerin eingesetzt worden war. Nachdem die Änderung des früheren Testaments aber „wasserdicht“ beraten worden war, sah die Tochter des Witwers nicht ein, warum sie nachgeben sollte. Beide Töchter beauftragten Rechtsanwälte in Deutschland und in England, um ihre Interessen zu vertreten, und Gerichte beiden Ländern wurden mit dem Erbfall beschäftigt.
In Deutschland versuchte der Anwalt der Adolphine Hemingway neben den Gerichtsverfahren her, mit dem Anwalt der Mary MacLeod über einen Vergleich zu verhandeln mit dem Ziel, daß die Erbschaft unter Adolphine Hemingway und Mary MacLeod aufgeteilt werde. Er konnte jedoch keinen greifbaren Grund dafür nennen, warum vom Testament abgewichen werden sollte; er behauptete nur pauschal die angebliche Unwirksamkeit des letzten, in England errichteten Testaments. Er und seine Mandantin fingen an, „plausible“ Begründungen an die Gerichte zu schreiben: Der alte Mann stand ja unter rechtlicher Betreuung, so daß Testierunfähigkeit behauptet wurde. Ins Blaue hinein schrieben sie ohne konkrete Angaben zum Sachverhalt die Schlußfolgerungen, er habe eine fortgeschrittene Demenz gehabt, sei Alkoholiker gewesen und der Umzug nach England sei ohne seinen Willen erfolgt. Als nächstes fragten sie noch einmal beim Anwalt der Mary MacLeod, ob man sich nicht doch auf einen Vergleich einigen könne.
Diese Situation war für die Mary MacLeod natürlich eine große Belastung. Sie war in Trauer um ihren verstorbenen Vater, und die Gerichtsverfahren machten ihr auch Angst. Der Rat ihres Anwalts war: Erst mal abwarten und (Kamillen-)Tee trinken. In solchen Verfahren ist es enorm wichtig, sachlich nachzudenken, worum es wirklich geht und wie die Rechtslage denn eigentlich ist. Und die ist in entscheidenden Punkten denkbar einfach:
Seit weit mehr als 120 Jahren gilt im deutschen Recht jeder Volljährige als Geschäftsfähig/Testierfähig, wenn nicht das Gegenteil zur Überzeugung des Gerichts bewiesen wird. Und so ein Beweis ist schwer zu führen.
Für juristische Laien mag die Argumentation mit Betreuung usw. wohl schon als plausible Begründung einer Testierunfähigkeit klingen. Die rechtliche Betreuung sagt aber überhaupt nichts aus über den Geisteszustand. Sie kommt auch bei körperlichen Krankheiten und Behinderungen in Frage, wenn ein Mensch nicht alle anstehenden Aufgaben selber erledigen kann.
Im vorliegenden Fall war auch der Alkoholismus eine freie Erfindung, um sich einen Anteil an der Erbschaft zu erschleichen. Es wurden keine Beweise angeboten, also keine Zeugen benannt und auch keine Beweisurkunden vorgelegt. Also spielt das für die Gerichtsverfahren auch keine Rolle.
Was zunächst für die Mary MacLeod kritisch aussah, ist also eigentlich harmlos. Es handelt sich wohl um unmoralische Behauptungen, die das Andenken des Verstorbenen verunglimpfen. Solange keine Beweise für die Behauptungen der Adolphine Hemingway vorgelegt werden, kann sie vor Gericht nur verlieren; am Ende wird sie alle Prozeßkosten tragen müssen, einschließlich der Anwaltskosten der Mary MacLeod. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, wenn eine Gegnerin und deren Anwalt phantasievolle Ansprüche konstruieren. Der Gang zum Fachanwalt für Erbrecht macht sich in solchen Fällen schnell bezahlt.

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