Erbfall des Monats - Juni 2021

Behindertentestament trotz altem Erbvertrag möglich?

Sicherheit ist ein besonders wichtiger Punkt bei der Planung der Erbfolge, wenn das Testament einem schwerbehinderten Kind helfen soll. Bleibendes zu hinterlassen ist sowieso für viele Eltern und Großeltern ein Anliegen. Bei hilfsbedürftigen Nachkommen hat die Möglichkeit, mit Hilfe eines guten Testaments eine verbesserte Lebenssituation zu ermöglichen, noch einmal eine wichtigere Dimension.
Eine Herausforderung ist in unserem aktuellen Erbfall des Monats, daß der Großvater einer schwerbehinderten, arbeitsunfähigen jungen Frau seinerzeit beim Notar einen Erbvertrag mit seiner verstorbenen Ehefrau beurkunden ließ. Das machten die Großeltern als junges Ehepaar vor 60 Jahren. Nachdem die Großmutter verstorben war, starb eines der Kinder der Großeltern, so daß die schwerbehinderte Enkelin in der Erbfolge und auch hinsichtlich Pflichtteilsansprüchen an seine Stelle trat. Als der Erbvertrag beurkundet wurde, hat natürlich niemand in der Familie damit gerechnet, daß ein Kind vor seinen Eltern stirbt, und die schwerbehinderte Enkelin gab es damals auch noch nicht. Der letzte Wille hat jedoch kein „Verfallsdatum“, gilt also auch nach langer Zeit noch, was bei ungewöhnlichen Ereignissen dazu führen kann, daß die letztwilligen Verfügungen nicht mehr so ganz zu dem passen, was später zur Zeit des Erbfalls sinnvoll wäre. Sinnvoll wäre es in der jetzigen Situation, daß die Enkelin abgesichert wird durch ein sogenanntes „Behindertentestament“. Das sorgt einerseits dafür, daß das behinderte Enkelkind für besonderen Bedarf etwas aus der Erbschaft bekommt. Außerdem wird damit verhindert, daß der Pflichtteil eingefordert wird, was in der Praxis oft zum Verlust von Familienvermögen und Liquiditätsengpässen der Erben führt, weil der Träger der Sozialhilfe einen Überleitungsanspruch am Pflichtteil ausüben wird.
Im vorliegenden Erbvertrag ist auch die Schlußerbfolge geregelt, also wer Erbe werden soll, wenn der zweite Ehegatte verstirbt. Nachdem die Frau bereits verstorben ist, stellt sich jetzt die spannende Frage, ob der länger lebende Ehemann überhaupt noch eine Änderung am letzten Willen vornehmen kann. Wer einen Erbvertrag abschließt, will ja in aller Regel ausschließen, daß es durch eine nicht abgesprochene Regelung des anderen Vertragspartners eine überraschende Änderung bei der Erbfolge gibt gibt. Das muß sich aber nicht auf alle einzelnen Regelungen im Erbvertrag beziehen; damit überhaupt ein Erbvertrag vorliegt, muß aber wenigstens eine Regelung eine vertragsmäßige Verfügung sein, also Bindungswirkung haben.
Beim vorliegenden Dokument ist nicht eindeutig geregelt, ob die Schlußerbfolge vom länger lebenden Ehegatten und Vertragspartner noch einmal geändert werden kann. Wenn man nicht sicher ist, ob eine sinnvolle Änderung möglich ist, lohnt es sich aber durchaus, mit einem Fachmann, also beispielsweise einem Fachanwalt für Erbrecht mit Erfahrung in Sachen Behindertentestamenten, den Versuch zu unternehmen, eine individuell passende Neuregelung zu treffen.
Im „ersten Anlauf“ hat der Großvater jedoch ohne fachkundige Beratung ein Testament geschrieben, in dem er die Enkelin ausschließen und sein ganzes Vermögen den anderen Verwandten zukommen lassen wollte, wobei es ausschließlich um Immobilien geht. Das hätte im Ergebnis dazu geführt, daß die Enkelin nichts vom Familienvermögen hätte, während die Erben die Pflichtteilsquote aus dem geerbten Immobilienvermögen sowie im Rahmen der Pflichtteilsergänzung aus vorangegangenen Schenkungen ans Sozialamt hätten zahlen müssen. Das wäre also ein denkbar schlechtes Ergebnis gewesen.
Mit Hilfe des Fachanwalts für Erbrecht, den die Familie von einer Bekannten empfohlen bekam, wurde jetzt eine andere Regelung entworfen: Das neue Testament berücksichtigt jeden Bedarf der schwerbehinderten Enkelin, von Alltagsgegenständen über medizinische Versorgung bis hin zu ihren Hobbies, für die sie Geld benötigt. Das ganze wurde vom Anwalt fachmännisch ausformuliert, der Großvater mußte es dann noch unterschreiben. Mit seiner Unterschrift wurde ein wirksames Testament daraus. Wahrscheinlich wird das Nachlaßgericht später nach dem Erbfall davon ausgehen, der alte Erbvertrag die ursprünglich vorgesehene Schlußerbfolge nicht „in Stein gemeißelt“ hat, so daß dann alle Beteiligten mit der zeitgemäßen Neuregelung besser fahren als mit den bisherigen Regelungen.

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