Kinder enterbt, Pflichtteil der Tochter
Unser Erbfall des Monats wurde vom Landgericht Stuttgart entschieden. Nachdem seine Ehe geschienen war, wollte der Vater nichts mehr mit seinen Kindern zu tun haben. Er wurde alt, schrieb sein Testament und enterbte seine Kinder. Im Lauf der Jahrzehnte schrieb er immer wieder ein neues Testament, in dem er sehr unterschiedliche letztwillige Verfügungen traf und immer wieder andere Personen zu Erben und Vermächtnisnehmern einsetzte. Die eine Hälfte der Kinder hat er ausdrücklich enterbt. Die andere Hälfte hat er „nur“ dadurch enterbt, daß er jemand anderen mit der Erbschaft bedacht hat. Und dann starb er, wurde aus Sicht des Erbrechts zum Erblasser.
Die Tochter aus erster Ehe erfuhr auf Umwegen davon, daß ihr Vater verstorben ist. Sie wollte die Angelegenheit sachlich angehen, keinen emotionalen Streit vom Zaun brechen. Daher beauftragte sie einen Fachanwalt für Erbrecht damit, einen Überblick über das Testament und den Nachlaß zu erarbeiten. Sie wollte nicht zu viel verlangen, wollte aber auch nicht völlig leer ausgehen, sondern den Pflichtteil haben, der ihr zusteht. Wie weit reicht der Anspruch der pflichtteilsberechtigten Enterbten auf Auskünfte?
Akteneinsicht beim Nachlaßgericht, Auskunftsanspruch gegen Erben
Der Anwalt schaute erst einmal in die Akten des Nachlaßgerichts. Dort steht meistens etwas, was man sonst nicht wüßte. In diesem Fall waren das unter anderem die aktuellen Adressen, die wichtig sind, damit man seine Ansprüche überhaupt durchsetzen kann.
Nach einem ersten Einblick durch die Akteneinsicht schrieb der Erbrechtler dann die Erben an, die im letzten Testament des verstorbenen Vaters seiner Mandantin als Erben eingesetzt sind. Wenn ein Kind vom Erblasser enterbt wurde, hat es nämlich Anspruch gegen die Erben auf Auskunft. Es ist ein Verzeichnis der Nachlaßgegenstände zu erteilen. Das Gesetz sagt aber nicht im Detail, wie genau so ein Nachlaßverzeichnis aussehen soll und welche Belege man zu den Angaben in diesem Verzeichnis verlangen kann.
Ein Teil der Erben antwortete auf den Auskunftsanspruch. Allerdings waren ihre Angaben sehr lückenhaft und teilweise auch falsch. In solchen Fällen ist es schwierig vorherzusehen, ob eine Klage auf weitere Auskünfte erfolgreich sein wird. Manche Richter meinen, daß irgendwelche Auskünfte immer ausreichen, um von einer erteilten Auskunft auszugehen. Andere Richter sind in ein oder anderen Fall großzügiger und nehmen eher an, daß ein Nachlaßverzeichnis dermaßen lückenhaft ist, daß es nicht als erteilte Auskunft durchgeht. Es wird in der Praxis auch unterschiedlich gehandhabt, ob zur Auskunft auch Belege wie zum Beispiel Dokumente der Bank zum Kontostand des Verstorbenen dazugehören.
Versäumnisurteil: Vorlage von Belegen wie Erbschaftsteuermitteilung und Auskunft über Vollmachten
Im vorliegenden Erbfall was es dadurch einfach, daß einer der Erben überhaupt nicht reagiert hat. Er hat auch nichts unternommen, als ihm die Klage zugestellt wurde. Das Landgericht verurteilte ihn dann durch ein Versäumnisurteil dazu, daß er der pflichtteilsberechtigten Tochter des Erblassers Auskunft erteilt. Dieses Urteil ging sehr weit bei der Frage, was denn alles zur Auskunft dazugehören muß, nämlich unter anderem:
1. Vorlage der Mitteilungen der Banken an das Finanzamt gemäß Erbschaftsteuergesetz § 33.
2. Auskunft über Kontoverträge und über Berechtigungen des Ehepartners des Erblassers bei Bankkonten.
3. Auskunft über Vollmachten, die der Erblasser zu Lebzeiten an jemanden erteilt hat, einschließlich Auskunft über mögliche Forderungen des Nachlasses gegen seine Bevollmächtigten.
Außerdem hat das Landgericht entschieden, daß die Klägerin oder ihr Rechtsanwalt beim Aufstellen des Nachlaßverzeichnis anwesend sein darf, also ein Verzeichnis nur akzeptiert wird, wenn der Anwalt dem Erben dabei „über die Schulter schaut“, wie er das Verzeichnis aufstellt.
Mit diesen Auskünften kann sich ein Pflichtteilsberechtigter ein ziemlich gutes Bild verschaffen, wieviel der Pflichtteilsanspruch denn wert ist. In der Erbschaftsteuermeldung der Bank stehen die Kontostände, Depotwerte und Zinsen per Todestag. Außerdem schreibt die Bank darin ans Finanzamt, ob ein Schließfach bei diesem Kreditinstitut bestanden hat. Ohne Belege ist man darauf angewiesen, daß einem die Wahrheit gesagt wird oder zufällig Informationen verfügbar sind. Mit diesen Belegen besteht eine größere Klarheit, was zum Nachlaß gehört und wieviel das insgesamt wert ist.
Zwangsvollstreckung bei Auskunftsanspruch
Nachdem der verurteilte Miterbe noch immer keine Auskunft erteilt hat, läuft gerade die Zwangsvollstreckung gegen ihn. Bei solchen Auskunftsansprüchen wird das Urteil dadurch vollstreckt, daß ihm ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwanghaft angedroht wird. Wenn das nichts hilft, wird das Zwangsgeld vom Gerichtsvollzieher eingetrieben und der Erbe notfalls für einige Tage verhaftet, damit er sich die Mühe macht und doch noch das geschuldete Verzeichnis erstellt.
Interessant ist dieser Fall aus zwei Gründen: Wenn ein Teil der Erben unvollständige Informationen zum Nachlaßwert gibt, kann ein Pflichtteilsberechtigter die Auskunft eines anderen Miterben verwenden, um am Ende seinen Anspruch auf Zahlung zu berechnen und die Zahlung gegen alle Miterben einzuklagen. Dazu kommt, daß es selten Urteile gibt, die einem derart weitreichende Ansprüche auf Auskunft und Belege zusprechen. Das gilt gerade auch für die Auskunft über Bankverträge und Vollmachten, mit denen möglicherweise vor dem Todesfall Schenkungen vorgenommen wurden, die der enterbten Tochter einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung geben. Dieses Urteil ist veröffentlicht worden in der Fachzeitschrift Zeitschrift „ErbR” im Nomos-Verlag, Ausgabe Juli 2024 mit Leitsätzen von Rechtsanwalt Stefan Mannheim.