Wenn die Erben den Nachlaß in Besitz nehmen, dann wissen sie oft nicht, bei welchen Banken oder Sparkassen Geld angelegt ist. Nachdem die Erben die Wohnung des Erblassers betreten und die Unterlagen des Verstorbenen durchsehen können, ist das normalerweise kein Problem. Kontoauszüge hebt ja schließlich fast jeder Mensch eine Zeitlang auf, so daß schnell ein Überblick über die Bankverbindungen besteht.
Schweizer Banken haben jedoch seit Urzeiten den Ruf, besonders „diskret“ zu sein. Daher waren sie auch für die Schwarzgeldkonten von Steuerhinterziehern und Mafiosi recht beliebt. In den Nachrichten heißt es zwar in den letzten Jahren, daß Schweizer Banken mittlerweile nur noch sogenanntes „Weißgeld“ verwalten möchten und überhaupt keine dubiosen Geschäftspraktiken mehr dulden.
Allerdings ist uns letztes Jahr ein Brief aus der Schweiz aufgefallen, der für deutsche Empfänger sehr ungewöhnlich aussah: Im Briefkasten einer Erblasserin kam ein Brief mit Frankierung aus der Schweiz an. Es fehlte aber jeglicher Hinweis auf einen Absender. Auf den ersten Blick sah das Schreiben so aus, als wäre beim Ausdrucken aus Versehen weißes Kopierpapier verwendet worden anstelle von Briefpapier mit Firmenlogo und Absenderadresse darauf. Auch fehlte die Unterschrift, es war nur nach den freundlichen Grüßen ein Name abgedruckt. In dem Brief stand:
“Wir konnten Sie leider nicht telefonisch erreichen. Bitte rufen Sie uns doch zurück unter 0041-44-******* Wir würden uns über weitere Geschäfte mit Ihnen freuen.”
Für uns sah das auf den ersten Blick aus wie eine unerbetene Werbung für etwas, was übers Telefon für teures Geld an arglose Rentner verkauft werden soll. Normalerweise würden wir nicht auf die Idee kommen, dort anzurufen. Die Telefonnummer fing allerdings mit der Vorwahl von Zürich an. Also riefen wir an und teilten der Absenderin des ominösen Briefs mit, daß die Adressatin dieses Briefs verstorben war und nun die Testamentsvollstreckung über unsere Erbrechtskanzlei läuft. Am Telefon eierte die Ansprechpartnerin auf der Schweizer Seite herum, sie dürfe nicht sagen, welche Art von Geschäftsbeziehung die alte Dame dort hatte. Wir sollten aber einen Erbschein in die Schweiz schicken. Dafür wurde uns eine Adresse durchgegeben, bei der nur eine Abteilungsbezeichnung aber kein Firmenname bekannt gegeben wurde.
Obwohl es uns unseriös vorkam, auf diesem Weg ein wichtiges Dokument abzuschicken, versuchten wir unser Glück. Als international erfahrene und vernetzte Anwaltskanzlei wissen wir schließlich, wie wir in Zürich „an die Tür klopfen“ können, wenn die teuren Dokumente für den Nachweis der Erbschaft nicht zurückgeschickt werden. Vermutlich machen die meisten Erben hier den Fehler, daß sie dieser ungewöhnliche Art der Abwicklung von Geschäften nicht trauen und einen derartigen Brief spätestens nach einem solchen Telefonat wegwerfen.
Es stellte sich dann aber heraus, daß hinter der ominösen Adresse mit dem „neutralen“ Brief eine große Schweizer Bank steht. Die Erblasserin hatte dort tatsächlich Geld auf Konten und in einem Wertpapierdepot angelegt. In der Wohnung der verstorbenen Bankkundin gab es aber überhaupt keine Kontoauszüge oder irgendwelche anderen Hinweise auf eine Bankverbindung im Ausland. Dieser Fall hat uns wieder einmal gezeigt, wie leicht beim Abwickeln von Erbfällen etwas übersehen wird, wenn nicht jedem Hinweis auf versteckte Vermögenswerte nachgegangen wird. Wer nicht auf derartige Briefe antwortet und Erbscheine an eine anonymisierten Adresse in der Schweiz schickt, übersieht leicht einen Teil der geerbten Vermögenswerte.
Nachdem der Nachweis über die Erbschaft vorgelegt ist, wird auch so eine Bankverbindung problemlos abgewickelt, die Erben bekommen also ihr Geld. Und voraussichtlich können wir zu diesem Erbfall schon nächsten Monat wieder über einen weiteren Aspekt berichten, den viele Hinterbliebene beim Abwickeln eines Nachlasses übersehen.