In den letzten Jahren kommt es immer häufiger vor, daß wir es im Rechtsstreit mit völlig verwirrenden Behauptungen zu tun bekommen; gerade bei Erbstreit passiert das immer öfter. Ein Blick auf die relevanten Fakten zu dem Fall sagt uns dann zwar einerseits, daß unsere Seite 100% Recht hat – aber die Gegenseite behauptet sehr vehement das genaue Gegenteil. Argumente werden dafür entweder gar nicht genannt oder aber es werden Ausführungen gemacht, die man mit Vernunft und Logik beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Was macht man, wenn einem so etwas geschieht bei einem Erbfall im Umgang mit Verwandten? An diesem Erbfall des Monats zeigen wir, daß es in solchen Situationen sowohl auf die Rechtslage als auch auf die persönliche, zwischenmenschliche Beziehung ankommt.
Von Anfang an regierte die Gegnerin im Erbfall des Monats auf jede sachliche Anfrage zum Nachlaß mit emotionalen Vorwürfen und mit Moralisieren. Sie ließ sich durch nichts dazu bewegen, den Sachverhalt sachlich anzugehen. Eigentlich wolle sie vor allem mal wieder eine Aussprache haben, meinte die Gegnerin zwischenzeitlich; die beiden Parteien des Erbstreits hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen, weil es damals einen heftigen Eklat gegeben hatte und zudem auch eine sehr große Entfernung zwischen ihren Wohnorten liegt. Wir wollten diesen Wunsch nach einer Aussprache aufgreifen und so möglichst ohne Streit eine Einigung erzielen. Aber beim Versuch unserer Seite, ihren Wunsch nach einer Aussprache zwischen ihr und unserem Mandant zu ermöglichen, stellte die Gegnerin jede Menge Vorbedingungen für die Aussprache, die sie selbst wünschte; sie selber war aber zu keinem einzigen Zugeständnis bereit und wollte auch nicht für ein offenes Gespräch auf ihre eigenen Vorbedingungen verzichten.
Es ist zwar im Erbstreit wichtig, die zwischenmenschlichen Beziehungen zu berücksichtigen. Der schriftliche Verzicht auf bestimmte Ansprüche, den die Gegenseite verlangte, hätte aber auf der sachlichen Ebene unwiderrufliche Folgen gehabt, ohne daß es eine greifbare Aussicht auf bessere persönliche Beziehungen gab. Da war es schwierig, ohne zuverlässige Kenntnis vom Nachlaß und von dessen Wert ins Blaue hinein auf Ansprüche schriftlich zu verzichten, mehrere tausend Kilometer anzureisen in Zeiten der Covid-19-Pandemie, wenn man selber keinen Strohhalm angeboten bekommt. Im Lauf eines Erbstreits stellt sich gelegentlich die Frage, ob Schlichtung, Mediation oder eine andere Alternative zum Streit vor Gericht die bessere Wahl wäre. Das gelingt allerdings nur, wenn alle Beteiligten sich darauf einlassen. Und es gibt auch durchaus Fälle, in denen Schlichter und Mediatoren an einen Punkt kommen, an dem sie mit ihren Methoden nicht weiterkommen. Dann hilft nur noch eine Entscheidung, die der Verlierer zu akzeptieren hat – da kann man sich auf ein Schiedsgerichtsverfahren einigen oder vor ein staatliches Gericht ziehen. Nachdem auf der Seite der Gegnerin ihre unverträgliche Art der Verhandlungsführung mehrere Monate lang angehalten hatte, rieten wir also dem Mandant zum „normalen“ Rechtsstreit, also die Ansprüche ein Mal im Guten außergerichtlich einfordern – und wenn nichts erfüllt wird, dann wird eben Klage bei Gericht erhoben.
Von der Gegenseite kamen dann immer mehr absurde Behauptungen, die auch noch von ihrem Anwalt vehement vorgetragen wurden. Das bringt die meisten Menschen zunächst zum Nachdenken, ob man selber etwas falsch gemacht hat; wenn das offensichtlich nicht der Fall ist, kostet diese Art von Streit viel Nerven.
Zum Nachlaß gehörte ein Hausgrundstück, dessen Wert am Ende des Erbstreits eine Rolle spielen würde. Ein Sachverständigengutachten wurde von der Gegenseite ziemlich früh im Erbstreit beim örtlichen Gutachterausschuß in Auftrag gegeben, obwohl es dafür zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Anlaß gab. Und es wurde auch in keiner Weise darüber gesprochen, ob alle Beteiligten die Bewertung durch diesen Gutachter akzeptieren würden. Das Gutachten trug zwar einen Stempel, der Fachkompetenz für derartige Wertgutachten vermuten läßt. Dieses Gutachten wurde dann aber durch uns widerlegt, weil ein Fachanwalt für Erbrecht durchaus das erforderliche Knowhow für die Beurteilung der Plausibilität einer Immobilienbewertung hat. Das Gefälligkeitsgutachten des städtischen Gutachterausschusses zog nämlich drei Jahre alte Bodenrichtwerte zugrunde, obwohl derselbe Gutachterausschuß alle zwei Jahre die aktuellen Bodenrichtwerte veröffentlicht; die falsche Datenbasis widerlegt das Gutachten daher wegen systematischer Fehler. Danach haben wir die Immobilie mit eigenem finanziellem Aufwand für einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen bewerten lassen. Bezeichnenderweise hat die Gegnerin sich geweigert, den Gutachter zur Besichtigung des Zustands ins Haus zu lassen. Das Wertgutachten läßt sich in solchen Fällen auch ohne Besichtigung erstellen. Ungenauigkeiten wird es dann zwangsläufig geben, weil bereits die Qualität der Ausstattung unbekannt bleibt. Aber man kann dann immerhin argumentieren, daß Ausstattung und Zustand jedenfalls nicht schlechter sind, als man annimmt. Warum sonst sollte sich jemand verweigern, einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen hereinzulassen? Der Gegner selber wäre ja gar nicht mit ins Haus gekommen.
Nun lagen zwar zuverlässigere Zahlen auf dem Tisch. Die Gegnerin weigerte sich aber trotz allem, den wirklichen Wert des Nachlasses für den Rechtsstreit zu akzeptieren. Und der Erbfall war drei Jahre her, zum Jahresende würde dann der Anspruch gegen sie verjähren. Also war es unvermeidbar, Klage zu erheben. Auf einmal gab die Gegnerin nach und überwies die geschuldete Summe. Aber sie ließ es sich nicht nehmen, über ihren Anwalt ans Gericht zu schreiben, daß sie ohne jegliche Pflicht und auch nur freiwillig zahle, weil sie keine Lust auf Streit habe. Früher hätte jemand in der Situation einfach nur nachgegeben und die Prozeßkosten als „Lehrgeld” bezahlt. In der heutigen Zeit ist es modern geworden, hier noch einen vollkommen überflüssigen Streit darüber zu führen, wer die Prozeßkosten zu erstatten hat. Wenn nämlich eine eingeklagte Forderung erfüllt wird, ist der Rechtsstreit erledigt und das Gericht entscheidet über die Prozeßkosten nach der bisherigen Aktenlage. Und wenn die Beklagte jegliche Rechtspflicht bestreitet und nur „freiwillig“ bezahlt haben will, dann muß der Kläger an dieser Stelle noch einmal aufpassen, daß die Prozeßkosten nicht an ihm hängen bleiben – einschließlich der Erstattung der gegnerischen Anwaltskosten. Es wurde also noch einmal zwischen den Anwälten und dem Gericht hin und her geschrieben. Das Gericht hat die Kosten dann der Beklagten auferlegt. Andererseits sieht man an der Art, wie hier erbittert und bis zuletzt auf verlorenem Posten gegen den Verwandten gekämpft und ihn bekämpft wurde, daß der persönliche Kontakt wohl nicht mehr zu retten war. Im beschriebenen Erbfall des Monats wohnen die Beteiligten mehrere tausend Kilometer auseinander, so daß sie sich nach diesem Urteil wohl nicht mehr begegnen werden. Das Urteil stellt wenigstens klar, wer bei dem verwirrenden Streit im Recht war. Und in diesem Einzelfall hatte sich der Mandant schon vor Jahren damit abgefunden, daß er mit diesem Teil der Verwandtschaft kein normales Gespräch mehr führen konnte; in solchen Fällen dürfte die streng sachliche Abwicklung des Erbfalls der richtige Weg sein.